Die besten Comics 2021 – Lara Keilbarts Favoriten

Auch in diesem Jahr fragen wir unsere Leserinnen und Leser wieder, welches für sie die besten Comics der vergangenen zwölf Monate waren -hier eine aktualisierte Auswahl der Ergebnisse. Unter allen Einsendenden werden wertvolle Buchpakete verlost.

Parallel dazu istwie bereits in den vergangenen Jahren wieder eine Fachjury gefragt. Die besteht in diesem Jahr erneut aus acht Autorinnen und Autoren der Tagesspiegel-Comicseiten: Barbara Buchholz, Christian Endres, Lara Keilbart, Rilana Kubassa, Moritz Honert, Sabine Scholz, Ralph Trommer, Lars von Törne.

Lara Keilbart.Foto: Privat

Die Mitglieder der Jury küren in einem ersten Durchgang ihre fünf persönlichen Top-Comics des Jahres, die in den vergangenen zwölf Monaten auf Deutsch erschienen sind. Jeder individuelle Favorit wird von den Jurymitgliedern mit Punkten von 5 (Favorit) bis 1 (fünftbester Comic) beurteilt.

Daraus ergibt sich dann die Shortlist, auf der alle Titel mit mindestens fünf Punkten oder mindestens zwei Nennungen landen. Diese Shortlist wird abschließend von allen acht Jurymitgliedern erneut mit Punkten bewertet – daraus ergab sich die Rangfolge der besten Comics des Jahres, die am 23. Dezember im Tagesspiegel veröffentlicht wird.

Die Favoriten von Tagesspiegel-Autorin Lara Keilbart

Platz 5: „Parallel“ von Matthias Lehmann

Liebe im Verborgenen: Eine Szene aus „Parallel“.Foto: Reprodukt

Matthias Lehmann erzählt vom Schicksal eines schwulen Mannes, Karl, in Deutschland in der Nachkriegszeit. In Form einer Art Bio-Fiktion, denn die Hauptfigur Karl gab es wirklich, wechselt die Erzählung zwischen Gegenwart und Erinnerung bzw. Vergangenheit. Allerdings ist nicht alles über Karls Leben bekannt, sodass Lehmann die Lücken mit Hilfe von Erzählungen anderer Zeitzeugen und Medienrecherche füllen musste. Dem Zeichner und Autor gelingt es, eine empathische, aufwühlende Geschichte zu erzählen, die neben dem Tabuthema des Schwulseins auch Einblicke in das geteilte Deutschland gibt, die Situation der damaligen Arbeiterklasse aufzeigt und einen Generationenkonflikt in der Gegenwart verarbeitet. Eindringlich erzählt Matthias Lehmann von der lebenslangen Sehnsucht nach Selbstbestimmung, Ehrlichkeit und Offenheit.

Platz 4: „Melek + Ich“ von Lina Ehrentraut

Selbstliebe per Avatar: Eine Doppelseite aus „Melek + ich“.Foto: Edition Moderne

Auch in Lina Ehrentrauts Comic geht es um Parallelitäten, wenn auch ganz anderer Natur. Die Suche nach sich selbst ist ja schon anstrengend und herausfordernd genug. Dann auch noch eine*n mögliche*n Partner*in zu finden, ist noch schwerer. Die Erfinderin Nici versucht beides, indem sie mit einer Maschine in Paralleldimensionen reist. Als Raumanzug dient ihr dabei der synthetische Körper Melek. Auf ihrer Reise lernt sie eine alternative Version von sich selbst kennen – und geht prompt eine Liebesbeziehung ein. Ehrentraut erzählt Science-Fiction abseits der ausgetretenen Pfade. Mit ihrer ganz eigenen, wilden Ästhetik gelingt ihr eine ungewöhnliche Story, die mal witzig, mal nachdenklich ist.

Platz 3: „Gejagt – Die Flucht der Angela Davis“ von Fabien Grolleau, Nicolas Pitz

Das Titelbild von „Gejagt – Die Flucht der Angela Davis“.Foto: Cross Cult

Viele kennen ihren Namen, manche kennen ihre Schriften, aber nur wenige kennen ihre Geschichte: Angela Davis, die politische Aktivistin für Bürgerrechte von Schwarzen und spätere feministische Ikone. Eigentlich ist es unfassbar, unter welchen Umständen Davis 1969 zum Staatsfeind Nummer Eins erklärt wird, aber noch unglaublicher ist, wie wenig sie sich einschüchtern lässt und mit eisernem Willen ihren Weg geht. Pitz und Grolleau erzählen verschiedene Dreh- und Angelpunkte ihrer Lebensgeschichte in tollen Farben und mit scharfzüngigen, starken Dialogen. Nicht nur haben die beiden ausgiebig recherchiert, sie verpacken die Geschehnisse auch in einen spannenden Polit-Thriller, wie ihn Hollywood nicht besser erzählen könnte. Manchmal erinnert der Comic auch sehr an die Blaxploitation-Filme aus der damaligen Zeit. Hier wird ein essentieller Bestandteil schwarzer Geschichte zum Leben erweckt!

Platz 2: „Yunas Reise zum Ich“ von Yuna Hirasawa

Das Titelbild von „Yunas Reise zum Ich“.Foto: Carlsen Manga

Aufklärend, aber nie bevormundend. Empathisch, aber nie voyeuristisch. Hirasawas biografischer Ausschnitt findet den perfekt Ton, um mit Vorurteilen und Tabus rund um das Thema trans Frauen aufzuräumen. Die junge Yuna möchte einen wichtigen Schritt in ihrer Transition gehen. Dafür unternimmt sie eine Reise nach Thailand, um sich operieren zu lassen. Aber diese Reise wird nicht ganz leicht. In Japan fordert es schon viel Zeit und Kraft, um den letzten Schritt der Reise zu wagen. Der Manga bietet viele persönliche Einsichten und macht keinen Hehl aus der Achterbahn der Gefühle, die Hirasawa dabei durchlebt. Die schwierigen Moment werden oft aufgelockert durch Humor, und generell hilft der knuffige Zeichenstil, das schwierige und angsteinflößende Thema leichter zu verdauen. Lesenswert sowohl für cisgender als auch für transgender Personen!

Platz 1: „Über Leben“ von Maki Shimizu

Bei Renate: In „Über Leben“ kommen viele reale Berliner Orte vor, hier die Comicbibliothek in Mitte.

Die Comiczeichnerin Maki Shimizu hat eine 400 Seiten starke Graphic Novel über das Leben in Berlin herausgebracht. Das prekäre Alltagsleben als Künstlerin vermengt sie dabei mit vielen großen Themen unserer Zeit wie Gentrifizierung, Obdachlosigkeit, Familie und sexuelle Gewalt. Gefördert durch das Berliner Comicstipendium knüpft sie an ihre „Adagio“-Bände an und nimmt sich Zeit und Raum für die jeweiligen Figuren und Themen. Zwischendurch darf auch etwas experimentiert werden. Die kindlich anmutende Bleistiftästhetik mit Tierfiguren trifft in „Über Leben“ auf heftige, drastische Themen. Das erinnert stark an Art Spiegelmans „Maus“, das als erste Graphic Novel gilt und die Gräuel der Judenverfolgung während der NS-Zeit mit Mäusen und Katzen dargestellt hat. Manches ist zu schlimm, um realistisch dargestellt werden zu können, Reduktion hilft. Denn die Geschehnisse, die Shimizu darstellt, sind alles andere als lustig. Existenzangst, Mord und Missbrauch setzen einem beim Lesen zu. Aber man erfährt auch viel über Solidarität, Gemeinschaft und Freundschaft. Die Doppeldeutigkeit des Titels findet sich auf jeder Seite – genauso wie die Stadt Berlin. Schaut man genau, erkennt man viele Ecken und Orte. Ein herausragender Comic zum Immer-Wieder-Lesen.