„Zeiten des Umbruchs“ im Kino: Schule des Lebens mit Donald Trump
In manchen Filmen fühlt man sich sofort heimisch. Sie legen sich wie eine wärmende Decke um die Seele. Auch in „Zeiten des Umbruchs“ scheinen zunächst alle Zutaten versammelt, die zu einer vertrauten Coming-of-Age-Geschichte mit Wohlfühlcharakter gehören. Im Mittelpunk der junge Paul (Michael Banks Repeta), der in der Schule aneckt, die quirlige Familie mit Einfamilienhaus im Mittelstandsviertel Queens, das historische Setting der frühen Achtziger, der Soundtrack mit Sugarhill Gang und The Clash. Doch ein Feelgood-Effekt will sich einfach nicht einstellen.
Erinnerungen ohne die süßliche Glasur der Nostalgie
Das ist als Kompliment für James Grays autobiografisches Jugenddrama zu verstehen. Dem Regisseur gelingt es, seinen filmischen Erinnerungen die süßliche Glasur der Nostalgie vorzuenthalten, stattdessen destilliert er aus dem Rückblick auf die eigene Kindheit Aufschlussreiches über die Gegenwart.
Der 1969 geborene Gray hat sich für eine persönliche Herangehensweise entschieden. Das Haus, in dem die Familie Graff wohnt, ist detailgetreu seinem Elternhaus nachempfunden, auch Grays Familie fungiert als Vorbild für seine Figuren. Der introvertierte Paul, ein Träumer mit Porzellan-Teint und langen Gliedmaßen, ist das kindliche Alter Ego des Regisseurs.
Wie jeder Jugendliche an der Schwelle zur Teenager-Weirdness fühlt er sich nicht ganz wohl in seiner Haut. Seiner Familie ergeht es ähnlich. Vater Irving (Jeremy Strong) wirkt meist überfordert und zückt schon mal den Gürtel. Im nächsten Moment kann er jedoch wieder erstaunlich verständnisvoll sein oder gar mit Paul herumalbern. Die Figurenzeichnung in Grays Film, der wie immer auch das Drehbuch geschrieben hat, entzieht sich gewohnten Erzählmustern. Der Regisseur überrascht und irritiert.
Pauls Familie ist jüdisch, die Gräuel der Nazi-Zeit sind noch gegenwärtig. Großvater Aaron (Anthony Hopkins) hat sie in der Ukraine am eigenen Leib erfahren. In seiner ruhigen, zugewandten Art ist er für den Jungen Ratgeber und Vorbild, ein Fixstern inmitten der rauen See des Erwachsenwerdens. Die männlichen Figuren dominieren „Zeiten des Umbruchs“. Mädchen in Pauls Alter spielen keine Rolle, zwischen Mutter Esther (Anne Hathaway) und ihm herrscht zwar eine Vertrautheit, entscheidenden Einfluss scheint sie auf Paul aber nicht auszuüben.
Grenzen ausloten gegen die Autoritäten in der Schule und zuhause
Der hängt sich lieber an seinen Klassenkameraden Johnny (Jaylin Webb). Gemeinsam loten sie die Grenzen aus, die ihnen die Autoritäten in der Schule und zuhause setzen. Johnny ist schwarz, für ihn ist Rassismus keine Sache der Vergangenheit, sondern eine alltägliche Erfahrung. Auch die Eltern machen sich Sorgen über den Einfluss der afroamerikanischen Kids auf Pauls Schule. Als er und Johnny beim Kiffen erwischt werden, stecken sie Paul auf eine Privatschule, Johnny hingegen droht komplett durch das soziale Netz zu rauschen.
Zu den Stärken von Grays Film gehört, dass er ein differenziertes Bild von der Vielgestaltigkeit und Allgegenwart von Rassismus entwirft, aber auch Klassenunterschiede thematisiert. Gray ist sich der Privilegien bewusst, die mit seiner Herkunft einhergingen.
„Zeiten des Umbruchs“ ist der bislang persönlichste Film des Regisseurs, der in der Peripherie des Mainstreamkinos arbeitet. Seine Filme sind stets hochkarätig besetzt, Gray nimmt sich der unterschiedlichsten Genres an und gibt ihnen einen leicht abseitigen Touch. Auf diese Weise hat er eine eigene Handschrift etabliert, die sowohl im Amazonas-Abenteuer „Die versunkene Stadt Z“ mit Robert Pattinson erkennbar ist als auch im historischen Drama „The Immigrant“ mit Joaquin Phoenix. Zuletzt drehte er mit Brad Pitt den elegischen Weltraum-Film „Ad Astra“.
Auch in „Zeiten des Umbruchs“ stehen sich Mainstream-Konvention und Arthouse-Ambition unversöhnlich gegenüber, viele Szenen wirken unfertig. Man spürt den Freiraum, den Gray seinen Darsteller:innen gewährt, aber aus den Dialogen meint man zuweilen auch einen gewissen Grad an Improvisation herauszuhören – was die Inszenierung manchmal beinah ungelenk aussehen lässt. Demgegenüber wirkt der Einsatz der Musik vordergründig, die Auswahl der Stücke allzu naheliegend – wie der Soundtrack zu einem Film, den man schon x-mal gesehen hat.
Heranwachsen mit dem Segen des Neoliberalismus
Schlüssiger ist die Bildsprache mit ihrer historischen Patina. Gray und sein Kameramann Darius Khondji erzählen die Adoleszenzgeschichte in leicht grobkörnigen, unterbelichtet anmutenden Bildern mit stumpfen, ausgewaschenen Farben, als entspringen sie Grays Erinnerungen. Die Gesichter der Erwachsenen bleiben im Dunklen, wie dem Schummerlicht des Vergessens entglitten. Sie wirken geradezu unheimlich, bedrohliche Gestalten im Reich des jungen Paul.
Aber auch unter den Gleichaltrigen auf seiner elitären Privatschule findet Paul keine Freunde. Die Kinder strahlen bereits eine unterschwellige Aggression aus, sie benutzen arglos das N-Wort. Die Kew-Forest School gibt es wirklich, nicht nur James Gray besuchte sie, sondern auch Donald Trump; der Film zeigt die Schule als republikanische Kaderschmiede. Jessica Chastain hat einen Cameo-Auftritt als Trumps Schwester Maryanne, eine spätere Bundesrichterin, die die Heranwachsenden auf den Segen des Neoliberalismus einschwört.
(In elf Berliner Kinos, auch OmU)
So blitzen im Hintergrund von „Zeiten des Umbruchs“ schon jene Wegmarken auf, die in die verfahrene Gegenwart der amerikanischen Gesellschaft weisen. Im Fernseher der Graffs spricht Ronald Reagan zunächst als Gouverneur mit Präsidentschaftsambitionen; als er später tatsächlich gewählt wird, reagieren Pauls urbane Mittelstandseltern geschockt. Noch ahnt niemand, dass 35 Jahre später ein Donald Trump folgt …
In „Zeiten des Umbruchs“, einer Geschichte über das Erwachsenwerden, schwingen so viele unangenehme Wahrheiten über den American Way of Life mit, dass James Grays Film manchmal hakt und schlingert. Statt einer flauschigen Decke um die Seele legt sich ein Wackerstein auf das Gemüt.
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