Ein Mann darf schlagen, weinen und reparieren
Clint Eastwood dreht und dreht und dreht. Mittlerweile ist er 91 Jahre alt, und noch immer kommt spätestens alle zwei Jahre ein neuer Film von ihm in die Kinos. Etwas seltener sind jene Arbeiten geworden, in denen er auch selbst die Hauptrolle übernimmt – wie in seinem neuen Werk „Cry Macho“.
Natürlich sieht man ihm darin das fortgeschrittene Alter an: Er geht gebeugt, setzt die Schritte bewusst und stützt sich auf der Motorhaube ab, wenn er seinen Pick-up-Truck umrundet. Hemd und Jeans umflattern Mike, den von Eastwood gespielten Pferdetrainer und Ex-Rodeo-Reiter. Doch zur Witzfigur taugt er beileibe nicht.
Man merkt dem Projekt an, dass es gut abgehangen ist
Der Filmstoff „Cry Macho“ ist ähnlich hartnäckig wie sein Regisseur und Hauptdarsteller. Seit knapp 50 Jahren dreht er seine Runden in Hollywood. Autor N. Richard Nash (1913-2000) hat das Drehbuch den Studios bereits in den 70er-Jahren angeboten.
Als die ablehnten, brachte er es 1975 als Buch heraus, nur, um es anschließend noch einmal als Skript zu pitchen. Diesmal mit Erfolg. In den 80er Jahren wurde das Projekt Eastwood zum ersten Mal unterbreitet, der allerdings lieber eine „Dirty Harry“-Fortsetzung drehte. Daraufhin sollte erst Roy Scheider, dann Arnold Schwarzenegger die Hauptrolle übernehmen, doch alle Arbeiten verliefen im Sand. Bis Eastwood doch noch zuschlug.
Die aktuelle Fassung des Drehbuchs stammt von Nick Schenk, der Clint Eastwood bereits die Vorlagen für „Gran Torino“ (2008) und „The Mule“ (2018) geliefert hat. Doch während diese Filme aktuelle Probleme wie Alltagsrassismus, Altersarmut und Drogenmissbrauch verhandeln, geht es in „Cry Macho“ schlicht darum, was es heißt, ein Mann zu sein. Man merkt dem Projekt an, dass es gut abgehangen ist.
[„Cry Macho“ startet am 21. Oktober in den Kinos]
Die Handlung spielt 1979. Mike wird von seinem ehemaligen Boss Howard (Dwight Yoakam) angeheuert, um dessen verschollenen Sohn Rafo (Eduardo Minett) in Mexiko zu finden und nach Hause zu bringen. Beide, der Teenager-Junge und sein alter Retter, sind gebrochene Männer. Blaue Flecken auf Rafos Körper zeugen vom Missbrauch, den er im Haus seiner Mutter (Fernanda Urrejola) erleiden muss. Mike wiederum sah sich früh gezwungen, seine Karriere als Rodeo-Reiter zu beenden, nachdem er übel auf den Rücken gestürzt war. Innerlich versehrt hat ihn der Verlust seiner Frau und seines Sohnes, die bei einem Unfall gestorben sind.
Die Stichworte aus Mikes Vergangenheit – auch die Jahre des Alkohol- und Drogenkonsums – jubelt einem der Film schon in den Anfangsminuten unter. Auftraggeber Howard zählt sie auf und zeichnet das Bild eines schwierigen Menschen. Dabei wirkt Mike von Beginn an wie ein ziemlich dufter Typ. Grummelig, klar, Eastwood darf die Stirn wieder ordentlich in Falten legen und mit stechendem Blick sein Gegenüber fixieren.
Doch ist er auch immer gut für einen Spruch und ein verschmitztes Lächeln, und als es heißt, dass es einen jungen Mann aus einer misslichen Lage zu befreien gilt, lässt er sich auch nicht lange bitten.
Mike findet Rafo und überredet ihn mitzukommen. Wie es sich für ein Buddy-Movie gehört, nähern sich die beiden an. Rafo wird für Mike zum Ersatz-Sohn, Mike für Rafo zum Ersatz-Vater und Lehrmeister. Das Drehbuch will es, dass der Junge ganz versessen darauf ist, ein Macho zu sein.
Den Kampfhahn, der mit ihnen die Reise Richtung US-Grenze antritt, nennt er der Einfachheit halber auch gleich so: Macho. Ausgerechnet Mike, verkörpert von Eastwood, jahrzehntelang Inbegriff des wortkargen Raubeins, will ihm diese Vorliebe austreiben – zumindest in der Theorie. Abgesehen von eins, zwei kurzen Dialogen, in denen er einen Abgesang auf die Machokultur anstimmt, präsentiert der Film ein anderes Bild.
Die Handlung bietet Eastwood reichlich Gelegenheit, sich Verfolgungsjagden zu liefern, den entlaufenen Hahn einzufangen, wilde Pferde zuzureiten und sich mit jungen Latinos zu prügeln. Auch die beiden nennenswerten Frauenfiguren des Films können Mike nicht widerstehen. Die eine ist Rafos Mutter, gespielt von Fernanda Urrejola, eine mannstolle Trinkerin und Rabenmutter, die ihn bei ihrem zweiten Treffen sogleich ins Bett bekommen will. Die andere, Marta, gespielt von Natalia Traven, verfällt ihm ansatzlos.
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Mike und Rafo suchen auf der Flucht vor den Handlangern der Mutter Zuflucht in Martas Dorf-Taverne. Ihre Aufgabe erschöpft sich im Folgenden darin, dem Alten schmachtende Blicke zuzuwerfen, viel zu kochen und sich um die vier Kinder ihrer verstorbenen Tochter zu kümmern. Sie ist grundgütig, gottesfürchtig und spricht nur Spanisch.
Doch das ist nicht weiter schlimm, längere Dialoge zwischen ihr und Mike sind sowieso nicht vorgesehen. Dafür das ein oder andere Tänzchen im Gegenlicht, wobei sie das Tanzen übernimmt, während er nur ein bisschen hin- und herschaukelt. Natürlich ist da auch der erste Kuss nur eine Frage der Zeit. Mike ist ein Fixer, er kuriert die Tiere des Dorfs auf nebulöse Weise, repariert die Jukebox in der Cantina der Witwe und ihr Herz gleich mit.
Es läuft Countrymusik, das Erzähltempo ist betulich
Diesmal flicht Eastwood keine aktuellen Diskurse in den Film ein, er nutzt „Cry Macho“ viel mehr, um seine konservativen Werte zu vermitteln. So wie Mike dem Jungen den rechten Weg weist, lässt er das Publikum teilhaben an seinen Ansichten: Manchmal ist es okay zu weinen, manchmal auch, sich zu schlagen. Und ein Sohn gehört zu seinem leiblichen Vater, auch wenn dieser ihn vor allem im Poker um die Besitztümer seiner Mutter benutzen will.
Mit viel gutem Willen lässt sich „Cry Macho“ altmodisch nennen, auch in seiner Machart. Eastwood erzählt den Film im Wohlfühlmodus: Die Herbstsonne leuchtet durch die rotbraunen Blätter, in den Räumen steht der Rauch, die Strahlen werden beinahe greifbar (Kamera: Ben Davis). Dazu läuft Countrymusik. Das Erzähltempo ist betulich und weil die Figuren ihre Intentionen, die die Bilder längst vermittelt haben, stets nochmal in Worte zu packen, verpasst man auch nichts.
Doch so ruhig – um nicht zu sagen: hüftsteif – „Cry Macho“ dahinläuft, fühlt er sich gleichzeitig an wie eine filmgewordene Trotzreaktion. Eastwood stellt einen alten Menschen in den Mittelpunkt der Handlung, besetzt ihn mit einem noch älteren Menschen, sich selbst, und lässt ihn all die Dinge tun, die er in jüngeren Jahren auch getan hat. So abgeschmackt vieles an diesem Film wirkt, ringt einem die konsequente Weigerung, kürzer zu treten und eine „altersgemäße“ Geschichte zu erzählen, doch Respekt ab.