„Ich bin ein vorsichtiger Optimist“

Finneas, Ihre Schwester und Sie sind Teil einer neuen Pop-Generation, die sich nicht vom Marketing verbiegen lässt und die künstlerische Kontrolle behält. Fühlen Sie sich als Teil einer Revolution?
Das klingt alles sehr schmeichelhaft, aber ich habe mich immer einfach nur als Musikliebhaber gesehen. Meine Schwester übrigens auch. Ich höre unfassbar viel Musik und habe eigentlich noch nie groß auf Genres geachtet.

Ich sehe mich deswegen weniger als jemand, der die Welt mit seiner Musik ändert, sondern eher als riesigen Glückspilz, der mit so vielen talentierten Menschen sehr unterschiedliche Musik machen darf.

Viele Ihrer älteren Kolleginnen und Kollegen machen seit fast 60 Jahren Musik, etwa die Rolling Stones oder Neil Young. Ist das in Ihrer Generation überhaupt noch erstrebenswert oder realistisch?
Ob das wirklich erstrebenswert ist, kann ich gar nicht sagen. Aber gar nicht mal wegen der Musikindustrie, sondern eher weil ich nicht weiß, ob es die Menschheit dann überhaupt noch gibt. Wenn ich mich so umschaue, frage ich mich manchmal, wie man hoffnungsvoll in die Zukunft blicken kann.

Mir zumindest gelingt das zunehmend schlechter. Es geht gerade alles so schnell, eine Hiobsbotschaft folgt auf die nächste. Und auch wenn ich weiß, dass das in meinem Alter nicht unbedingt meine Aufgabe sein sollte, mache ich mir doch zunehmend große Sorgen.

Dennoch haben Sie Ihrem Debütalbum den Titel „Optimist“ gegeben.
Und dazu stehe ich: Ich bin Optimist, ich bin es immer noch. Ich mache mir Sorgen, große Sorgen sogar, aber ich könnte mir eben immer noch vorstellen, dass am Ende doch noch alles gut geht. Sagen wir es mal so: Ich bin ein vorsichtiger Optimist, auch wenn das heutzutage fast schon die Definition eines Träumers ist. Ich hoffe das Beste, weiß aber sehr wohl, dass es auch schiefgehen kann.

Ihre Single „A Concert 6 Months From Now“ enthält die Zeile „I guess I’m an optimist“, weil der Protagonist Konzertkarten für das weit in der Zukunft liegende, titelgebende Konzert kauft. Sind Sie jemand, der eher in der Gegenwart lebt oder planen Sie weit voraus?
Ich bin der Kerl, der Pläne macht. Ständig. Ich male mir immer aus, was ich alles in der Zukunft machen möchte, dass ich manchmal vergesse, in der Gegenwart zu leben. Ich wünschte, ich wäre besser darin. Irgendwie spüre ich selbst, dass mir das guttun würde.

[„Optimist“ erscheint am 15.10. bei Universal]

Dennoch haben Sie in wenigen Jahren so viel erreicht, was ohne Planung gar nicht möglich gewesen wäre – allein acht Grammys stehen bei Ihnen herum. Wachen Sie manchmal auf und denken: Wie konnte das alles nur so schnell gehen?
Eigentlich ständig! (lacht) Erst kürzlich schaute ich mir eine Dokumentation an, die über mich und Billie gedreht wurde. Ich konnte kaum glauben, was da alles zu sehen war, wie viel in dieser kurzen Zeit passiert war. Unser Leben vor dem Durchbruch fühlt sich an wie eine andere Welt, eine andere Zeitrechnung.

Welche Werte haben Ihnen Ihre Eltern mit auf den Weg gegeben?
Alle! Unsere Eltern sind genuin gute Menschen, anders kann ich es gar nicht sagen. Billie und ich können sehr dankbar sein, solche Eltern zu haben. Alles, was wir sind, was wir gelernt haben, ist mehr oder weniger direkt ihnen zu verdanken.

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Was war die wichtigste Botschaft Ihrer Eltern?
Wir hatten nicht viel Geld, als wir aufwuchsen. Unsere Eltern haben uns aber immer vorgelebt, das zu tun, worauf man Lust hat. Ihre Botschaft an uns war: Du kannst tun, was du willst, selbst wenn du damit nicht viel Geld verdienst. Das Wichtigste ist, dass du liebst, was du tust. Das ist bei vielen Kids anders.

Da geht es schon darum, gut bezahlte Arbeit zu finden und eher den Job zu wechseln, um mehr Geld zu machen als um zufriedener zu sein. Meine Schwester und ich wären nicht da, wo wir sind, wären unsere Eltern nicht so offen und unterstützend gewesen.

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Sie und Ihre Schwester setzen sich auf dem aktuellen Album „Happier Than Ever“ auch mit den Schattenseiten des Star-Daseins auseinander. Haben Sie Angst, irgendwann nicht mehr angesagt zu sein?
Das ist ein Thema, das mich ehrlich gesagt durchaus ein wenig umtreibt, ja. Ich kenne das ja von mir selbst: Eine gewisse Zeit lang bin ich vernarrt in eine Sache oder in eine Band und ein paar Jahre später lasse ich sie fallen und mache mich darüber lustig. Ich weiß, dass das meiner Schwester und mir jederzeit passieren kann, aber ich habe keinen direkten Einfluss darauf. Also werde ich es wohl einfach weiter beobachten müssen.

Werden Sie sich in Zukunft eher auf Ihre eigene Musik konzentrieren oder weiterhin für Ihre Schwester sowie andere Sängerinnen schreiben und produzieren?
Ich liebe beides und könnte mir nicht vorstellen, eines Tages nur das eine oder das andere zu tun.

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Sie haben alle Preise gewonnen und zahlreiche Rekorde gebrochen. Hat man da überhaupt noch Ambitionem?
Meine Schwester und ich sind nie an den Start gegangen, um diese Rekorde zu brechen und diese Preise zu gewinnen. Ich wollte einfach nur Musik machen, die mir etwas bedeutet. Und daran hat sich nichts geändert.

Wie schreiben Sie eigentlich für Billie?
Wenn ich für Billie schreibe, versetze ich mich in ihre Lage. Ich versuche, die Welt durch ihre Augen zu sehen, mich in sie hineinzuversetzen. Was beschäftigt sie gerade? Was macht sie durch? Worüber denkt sie nach? Wir führen sehr lange Gespräche über diese Dinge. Ohne unsere Gespräche könnten wir keine Musik zusammen machen.

Wir schaffen einen geschützten Raum, in dem letztlich ihre Musik entsteht. Wir sind sehr offen und ehrlich, das ist essentiell. Sie nimmt mich mit in ihre Welt, damit ich ihre Geschichten erzählen kann. Bei meinen Solosachen ist es im Grunde dasselbe – nur, dass ich dann eben lange Monologe mit mir selbst führe.