Im Zwiegespräch mit Kunstwerken
Diese Frage ist schwer zu beantworten: „Würde dir das gefallen, eine Nacht im Museum eingeschlossen zu sein?“ Die französische Schriftstellerin Leïla Slimani bekam dieses Angebot von ihrer Lektorin im Rahmen einer Projektreihe mit dem Titel „Meine Nacht im Museum“, war allerdings zögerlich.
Würde ihr das wirklich gefallen? Dass Slimani sich schließlich darauf einließ, lag dann weniger an ihrer Begeisterung, eine Nacht ganz allein mit ganz viel Kunst zu sein, als an der reizvollen Vorstellung eingeschlossen zu werden: „Dass niemand zu mir gelangen kann und das Draußen für mich unerreichbar ist.“
So macht sie sich im April 2019 auf den Weg nach Venedig, um in der Punta della Dogana, einem alten, zu einem Museum für zeitgenössische Kunst umgestalteten Zollgebäude neben der Santa Maria del Salute, eine Nacht zu verbringen. „Der Duft der Blumen bei Nacht“ ist nun das Resultat, ein autobiografisches, sehr persönliches Buch.
Slimani macht sich während ihrer Museumsnacht, Gedanken darüber, wie sie zum Schreiben gekommen ist, was Schreiben für sie bedeutet.
“Ich habe mich lange jeder Identität beraubt gefühlt”
So wie ihr Venedig als ein Ort zwischen Orient und Okzident vorkommt, und so wie das Museumsgebäude an der Spitze Dorsoduros zwischen dem Canal Grande und dem Guidecca-Kanal zwischen zwei Welten liegt, so beschreibt sich auch die 1981 in Rabat geborene Slimani als „zerrissen zwischen den Gemeinschaften“, der marokkanischen und der französischen, zu der es sie im Alter von 18, 19 Jahren zog. „Niemals ganz von hier, nicht mehr ganz von dort, habe ich mich lange jeder Identität beraubt gefühlt.“
Slimani hält Zwiesprache mit sich und Kunstwerken von Etel Adnan, Félix González-Torres oder Hicham Berrada, wobei ihr Resonanzraum die Literatur ist, sie erinnert sich ihrer Adoleszenz, ihrer Ausgehnächte in Rabat, und sie errichtet ihrem Vater ein kleines Denkmal.
Dessen Tod hat sie zu der Schriftstellerin gemacht, die sie heute ist. Von einer „Wiedergutmachung“ spricht Slimani, weil der Vater zu Unrecht im Gefängnis war (und nach seiner Freilassung starb) – aber auch davon, gerade als Schriftstellerin, bei dieser so einsamen Tätigkeit, ihr Glück gefunden zu haben.