Wahre Lügen
Reich und berühmt kann man durch Musik nicht mehr werden. Sondern nur durch die Selbstverwandlung in eine Marke. Die Leute laden sich das Gefühl herunter, den Künstler als solchen verstanden zu haben. Und tatsächlich kann es einem auch mit den Black Keys so gehen, dass sie kein Rätsel mehr darstellen. Alles, was sie tun, macht Sinn.
Dennoch fragte die „New York Times“ vor einem Jahr: „Sind die Black Keys immer noch Underdogs?“
Die Frage drängte sich auf, weil die Band nach einer mehrjährigen Pause mit dem Album „Let’s Rock“ auf die große Popbühne zurückgekehrt war. Auf Anhieb waren die Arenen ausverkauft, jeder wollte miterleben, wie die Indie-Darlings aus Akron, Ohio zu ihrer unbändigen früheren Energie zurückgefunden hatten. Obwohl sie mehr Geld verdient haben als viele US-Stars, die berühmter sind, gelten sie immer noch als Typen von nebenan. Und sie sagen: „Wo auch immer Hot Dogs verkauft werden, handelt es sich um unsere Leute.“
Sozialromantiker mit Tradition
Bluesrock als Musik von unten für Leute von unten hat eine ausgeprägt spießige Seite. Dan Auerbach und Patrick Carney haben diese sozialromantische Traditionslinie allerdings stets zu vermeiden gewusst. „Ich bin ein Fremder“, singt Auerbach jetzt, „mit schiefem Lächeln und wanderndem Auge, der dich in Gefahr bringt / Komm’ her, lass mich dir eine Lüge erzählen.“
Diese Zeilen aus dem Auftaktstück „Wild Child“ setzen den Ton für „Dropout Boogie“ (Nonesuch Records), das elfte Album der Band. Der Song bringt all die Zutaten mit, die der erdige, melodiöse Riff-Rock von jeher ausmacht – dreckige Akkorde, leuchtende Refrains und das Vertrauen, das etwas an den uralten Weisheiten des Blues von Sehnsucht, Sex, Sentimentalität, gültig bleibt. Erweitert um die feine Ironie, die darin steckt, ein so plattes Thema wie die Liebeserklärung an ein junges „Baby Girl“ als ewige Blues-Wahrheit zu verkaufen („You’re gonna get my love today-ay-ay-ay-yeah“).
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Das Einzige, was nicht gelogen ist in diesem Song, ist, dass es um eine Lüge geht. Wobei Lüge nicht ganz korrekt ist. Typen wie Auerbach und Carney würden sich niemals an ein Mädchen heranmachen mit einem so vollmundigen Versprechen, wie dem, das in „Wild Child“ abgegeben wird. Auerbach würde eher nichts sagen, und Carney es vielleicht mit einem Scherz versuchen, bevor auch er nicht weiterwüsste. Beide wären aufgeschmissen, wenn die Musik ihnen nicht erlaubte, ihrer Fantasie freien Lauf zu lassen. Mit den Ehen der beiden Rockstars hat es nämlich nicht so gut geklappt.
Eine Sache total ernst zu meinen und gleichzeitig als Witz zu verstehen, ist nur großen Komödianten möglich. Dass es sich bei den Schulfreunden Auerbach und Carney um solche handelt, wird mit jedem Album deutlicher, das auf ihre fünfjährige Auszeit folgt. In dem Video zur ersten Single „Go“ nehmen sie das Gerücht auf die Schippe, demzufolge sie sich zerstritten hätten und nicht mehr miteinander reden würden.
Der Voodoo-Zauber einer Hippie-Klinik soll sie wieder zueinander führen. Im „Wild Child“-Video begeben sie sich nun auf die Suche nach ihren College-Wurzeln, verkleidet als Hausmeister und Kantinenkoch, hoffen sie Inspiration an dem Ort zu finden, an dem alles begonnen hat. „Für das Album“, lautet die Losung ihres High-School-Martyriums, bevor sie schließlich in Rolls-Royce-Limousinen wieder davon fahren.
Klagelieder über das Warten
Die Pointe spielt geschickt auf ein grundsätzliches Anliegen der Band an: Den Delta-Blues immer wieder neu interpretieren zu wollen, kann einen zum Millionär machen, aber mit Retro-Schick und Selbstvermarktung hat das nichts zu tun. Womit stattdessen machen Songs wie „It Ain’t Over“ und „How Long“ spürbar, wundervoll wiegende Klagelieder über das Warten.
Man wartet auf die „love that’s a real long shot“, die mit jemand anderem zusammenlebt. Wartet auf den wichtigen Moment, den zu erwarten man sich nicht traut. Wartet auf die „good love“, die zu finden so verdammt schwer ist. Geduld ist eine Generaltugend des Blues. Ob Auerbach und Carney sie wirklich beherrschen, ist nicht ganz klar. Zehn Tage brauchte es diesmal, um ebenso viele Songs für „Dropout Boogie“ aufzunehmen, sagen sie. Mit nichts seien sie in Auerbachs Studio in Nashville gegangen, außer den Instrumenten.
Es mag unfair sein, das Resultat mit den Großleistungen von vor zehn Jahren, den Alben „Brothers“ und „El Camino“, zu vergleichen, als die Black Keys im Verbund mit den White Stripes („Seven Nation Army“) den Rocksound einer Ära prägten. Tatsächlich knüpft zwar die erste Hälfte ihrer Boogie-Platte nochmals daran an – gelungen auch „For The Love Of Money“ –, aber die zweite rührt den Sud des Hill-Country-Blues nur noch mal um, dem sie mit ihrem Coveralbum „Delta Kream“ im vergangenen Jahr ihren tief empfundenen Dank aussprachen.
Stilistische Höhenflüge
Diese Archivarbeit war nötig geworden, um sich dessen zu erinnern, was sie früher mal bis zur Erschöpfung durch die USA hatte touren lassen, Vagabunden wie ihre Vorbilder, bis sie ihrer Visagen überdrüssig wurden, weil man eines jeden überdrüssig wird, „wenn man 15 Jahre auf demselben Boot mit ihm zusammengepfercht ist“. So hat Auerbach den Zwang zur Bandpause unlängst in einem CBS-Interview erklärt.
Von den klassischen Blues-Gesängen mit ihren Anleihen bei John Lee Hooker und Junior Kimbrough bleibt jedoch zu wenig hängen, um in ihnen eine Wiederbelebung zu erkennen. Vielleicht bereiten sie den nächsten stilistischen Höhenflug vor.
Oder die Keys genügen sich nun in ihrer Rolle als stoische Randfiguren, deren Musik ein Gegengift zur schnellen Konsumierbarkeit darstellt. „Happiness, it isn’t known to us“, heißt es einmal verbunden mit der Bemerkung, dass Warten vielleicht doch nicht die Beste aller Lebenseinstellungen ist.