Der 1. FC Union lässt die Dame Hertha alt aussehen

Die erste Hälfte der ersten Hälfte war gerade zu Ende, als der 1. FC Union einen ersten kleinen Triumph feiern konnte. Es war, als aus der Ecke mit den Fans von Hertha BSC eine nur zu bekannte Anfeuerung erklang. „Wir woll’n euch kämpfen seh’n!“, riefen sie. Es ist das Schlimmste, was sich eine Mannschaft in einem Derby vom eigenen Anhang anhören muss.

Andererseits lässt sich „Wir woll’n mehr Kreativität von euch im Spiel nach vorne seh’n“ eben auch denkbar schlecht rufen lässt. Es lief nicht bei Hertha. Die Gäste hatten in der Alten Försterei zwar häufig den Ball, wussten mit ihm gegen den defensiv gewohnt stabilen 1. FC Union aber wenig anzufangen. Und so entlud sich der Unmut der blau-weißen Fans im Evergreen, der von der eigenen Mannschaft mehr Kampfgeist einfordert.

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Es war nicht der einzige Triumph, den der 1. FC Union am Samstagabend in der erstmals seit März 2020 wieder vollbesetzten Alten Försterei feiern konnte. Nach drei Geisterderbys hintereinander fand das Spiel zwischen Union und Hertha zum zweiten Mal überhaupt in der Fußball-Bundesliga vor Zuschauern statt. Und zum zweiten Mal siegte Union. War es beim Debüt noch ein glückliches 1:0 durch ein spätes Elfmetertor, so fiel der Sieg diesmal in jeder Hinsicht deutlicher aus. „Wir waren in allen Belangen überlegen“, sagte Max Kruse nach dem 2:0 (2:0) seiner Mannschaft. „Wir haben unser Herz auf dem Platz gelassen, wie es sich gehört für ein Derby.“

Nach drei Spielen Pause stand Kruse erstmals bei Union wieder in der Startelf. Die Gäste hingegen mussten überraschend doch auf Stevan Jovetic verzichtet, der noch einmal positiv getestet worden war. Für ihn stürmte Krzysztof Piatek.

Kruses Rückkehr tat seiner Mannschaft gut, auch wenn er bei Unions bewährter Underdog-Taktik weniger in Aktion ist, als er es sein könnte. Aber was Kruse macht, macht er eben richtig. Er hat ein Gespür für das Spiel, versteht sich nahezu blind mit seinem Offensivpartner Taiwo Awoniyi und ist damit für jeden Gegner eine stete Bedrohung. „Ich bringe eine eigene Note rein“, sagte er nach dem Spiel im Interview bei Sky.

Bei Unions früher Führung durch Awoniyi war Kruse allerdings ausnahmsweise nicht beteiligt. Neben Linksverteidiger Niko Gießelmann, der mit einem langen Pass die Vorlage gab, hatte vor allem Marton Dardai entscheidenden Anteil am 1:0. Herthas Innenverteidiger trat am Ball vorbei, so dass Awoniyi nur noch Torhüter Alexander Schwolow vor sich hatte und ohne größere Mühe seinen achten Saisontreffer erzielte.

Pekariks Treffer wird aberkannt

Die Gastgeber hatten Hertha zunächst weitgehend die Initiative überlassen – und waren trotzdem das bessere und vor allem gefährlichere Team. Kruse hätte Mitte der ersten Hälfte nach einem Doppelpass mit Awoniyi beinahe das 2:0 erzielt, scheiterte aber aus spitzem Winkel an Schwolow. Kurz darauf war Herthas Torhüter machtlos, als Christopher Trimmel den Rebound nach der zweiten Ecke für Union aus knapp 20 Metern zum 2:0 verwandelte. Zum ersten Mal erklang von der Waldseite der Gesang: „Stadtmeister, Stadtmeister, Berlins Nummer eins.“

Herthas Trainer Dardai begab sich nach dem Treffer an die Seitenlinie. Er schob seinen Brustkorb vor und schlug sich zweimal mit der flachen Hand darauf. Mehr Widerstand, bitte, mehr Überzeugung, sollte das heißen. Aber insgesamt, auch dank der komfortablen Führung, war Union die griffigere Mannschaft. „Der Gegner war besser, dynamischer, stärker“, sagte Dardai. Seine Mannschaft kam erst in der 37. Minute zu einer ersten nennenswerten Offensivaktion. Doch Peter Pekarik setzte den Ball knapp am Pfosten vorbei.

Der Rechtsverteidiger, als Einziger schon bei einem Derby in der Zweiten Liga dabei gewesen, war es auch, der Hertha unmittelbar vor der Pause jubeln ließ. Ebenso unerwartet wie kurz allerdings. Nachdem Unions Torhüter Andreas Luthe nach einer Hereingabe den Ball unterlaufen hatte, köpfte Pekarik zum 1:2 ein. Doch der vermeintliche Anschlusstreffer zählte nicht, weil Piatek in der Entstehung des Angriffs um Fußnagelbreite im Abseits gestanden hatte. „Ich glaube, das ist nicht okay“, klagte Pal Dardai. „Aber deshalb haben wir nicht verloren.“

Seine Mannschaft hat das Spiel verloren, weil ihr nach vorne wenig gelang. „Mit unserem Ballbesitz sind wir nicht gut umgegangen“, sagte Dardai. Daran änderten auch seine frühen Wechsel nichts. Dardai brachte zur zweiten Hälfte mit Ishak Belfodil einen zweiten Stürmer, später auch noch Jurgen Ekkelenkamp, Kevin-Prince Boateng und für die letzten Minuten Davie Selke. „Das war offensiv harmlos von uns“, sagte Dardai. „Deswegen muss ich heute nicht viel rumlabern.“

Union blieb das gefährlichere Team. Kruse scheiterte aus 18 Metern an Schwolow. Nach der folgenden Ecke setzte Grischa Prömel den Ball aus kurzer Distanz über die Latte, und wenig später konnte Marton Dardai einen Schuss von Genki Haraguchi gerade noch blocken. „Die Mannschaft hat wieder sehr viel Leidenschaft gezeigt“, sagte Unions Trainer Urs Fischer, „war sehr kompakt, sehr griffig.“ Und für Hertha nicht zu packen.