Die Macht der Kartelle
Über dem Land liegt Stille. Nur noch wenige Menschen bewohnen die sonnengebleichten Weiten im Norden Mexikos. Sie wissen, was abseits der Sandpisten passiert, die sich in Richtung Grenze winden. Das organisierte Verbrechen hat die Region im Griff. Mit Maschinengewehren bewaffnet patrouillieren die Mitglieder der Drogenkartelle und halten Busse an, die sich auf dem Weg in die USA befinden. Sie überfallen die Fahrgäste. Rauben, vergewaltigen, töten.
Auch Magdalenas Sohn Jésus (Joan Jesús Varela) ist in einen dieser Busse gestiegen und verschwunden. Nur die Tasche des Teenagers taucht in einem der flachen Gräber auf, von denen das Grenzland übersät ist. Für Magdalena (Mercedes Hernández) reicht das nicht, um den Tod ihres Sohnes zu akzeptieren. Sie begibt sich auf die Suche.
Der Film „Was geschah mit Bus 670?“ erzählt diese Suche als eine Fahndung nach Gewissheit. Regisseurin Fernanda Valadez, die auch am Drehbuch, Schnitt und an der Produktion beteiligt war, durchzieht ihr Debüt gleich auf mehreren Ebenen mit Analogien auf das Sehen, auf das genaue Hinschauen. Sie richtet den Blick auf Details in der schroff-schönen Natur, die das menschliche Leid indifferent umspielt. Den Tau in den Gräsern, die Ameisen, die über den Boden wuseln, die Geier, die am Himmel kreisen.
Für die Gespräche, von denen sich Magdalena Aufschluss über das Schicksal ihres Sohnes erhofft, wählt die Regisseurin lange, unbewegte Einstellungen. Unerbittlich verfolgt die Kamera jede Regung auf ihren Gesichtszügen, während sie mit der Polizei, einer Mitarbeiterin des Busunternehmens und einem Zeugen spricht. In ihre Verzweiflung mischt sich eine sture Hoffnung. Mercedes Hernández verkörpert sie mit einer natürlichen Intensität.
Allegorie auf den Wunsch nach Erkenntnis
Einen Gegenschuss auf die Gesprächspartner verweigert Valadez. Sie sind für die Geschichte, die die Filmemacherin erzählen will, nicht entscheidend. Ihr geht es um die Frauen, die ihre Söhne verloren haben, an Menschen, die aus dem Elend anderer Kapital schlagen. Eine dieser Suchenden unterzieht sich im Film einer Augenoperation. Valadez zeigt die Instrumente, die in den Augapfel eindringen, in einer extremen Detailaufnahme.
Sie durchsetzt ihren Film mit Momenten, in denen sie die dokumentarische Anmutung zugunsten einer lyrischen Qualität hinter sich lässt. Auch diese Operation lässt sich als Allegorie auf den Wunsch nach Erkenntnis lesen. Dennoch vermag es die Frau nach dem Eingriff nicht, den entstellten Leichnam eines Jugendlichen als den ihres Sohnes zu identifizieren.
„Was geschah mit Bus 670?“ ist ein starker, ein niederschmetternder Film. Die Bilder der zerfetzten Kleidungsstücke, die von den Verschwundenen geblieben sind. Fotos der Getöteten, die die Polizei in erschütternder Regelmäßigkeit herausgibt. Die Leichensäcke in kleinen Größen, die in den Regalen auf den Lastwagen liegen und kaum erkennbare Überreste enthalten. Diese Bilder brennen sich ein in die Seelen der Mütter.
Valadez, Jahrgang 1981, bringt einem das Leid dieser Menschen nah, ohne es auszustellen. Sie erzählt davon in nüchternen Bildern, geredet wird kaum. Auch die Musik von Clarice Jensen kommt nur punktuell zum Einsatz. Meist ist sie nichts weiter als ein Sirren auf der Tonspur, das anschwillt und wieder verklingt. Ästhetische Verstärker braucht es nicht, die Vorgänge selbst sind ungeheuerlich genug.
Wenn am Ende ein alter einäugiger Indio von einem der Bus-Überfälle berichtet, zeigt der Film dazu seine alptraumhaft verschwommenen Erinnerungen. Sie scheinen direkt aus einem Inferno zu stammen. Da ist es nur folgerichtig, dass sich der Teufel persönlich durch den Feuerschein der Bilder bewegt. (Seit Donnerstag in den Kinos)