Zauberwind, Zauberdeutsch

Unser Kolumnist Klaus Brinkbäumer ist Programmdirektor des MDR in Leipzig. Sie erreichen ihn per Mail unter Klaus.Brinkbaeumer@extern.tagesspiegel.de oder auf Twitter unter @Brinkbaeumer.

Heute wollten wir feiern, eigentlich, und zwar unser Deutsch. Weil es bunt, wach, lustig ist. Falls Sie jemals, beispielsweise zwischen der 13. und der 14. Welle, wieder reisen sollten, werden Sie’s auch bemerken: was das Deutsche kann. Ich war nämlich, zwischen dritter und vierter Welle, in Münster, Frankfurt, Hamburg, dann im Erzgebirge und natürlich in Leipzig. Fünf Orte, fünf Sprachen, ein linguistisches Fest.

Münster: Dort vögeln sie nicht, sie „nabbeln“. Und zwar in der „Poofe“ (Bett), aber die „Strehle“ (Straße) tut’s notfalls auch, wenn „Kaline“ (Frau) und „Seegers“ (Mann) einander oder wen auch immer unbedingt wollen. Masematte heißt die steinzeitalte Münstersprache, die sich beständig erneuert und ewig leben wird, mindestens solange die Münsteraner ihre „Leeze“ (Fahrrad) fahren.

Frankfurt: „De Adam sacht zum Evche: Ich glaab, du hast en Rappel, ich brauch’ en Schoppe Ebbelwoi! Was soll ich mit em Abbel?“ Das habe ich online gesehen, aber so klingt’s dort.

Hamburg: Hin und wieder ein „sabbeln“, ein „Moin“, ein „dor nich für“ (gern geschehen), ansonsten Stille. Die Elbe leuchtete und schwieg auch.

Das Erzgebirge: Dort verstehen sie sich so trefflich auf die Ablautbildung, was die Änderung des Stammvokals meint (aus Schafen werden „Scheef“), wie auch auf die Abschaffung des Genetivs (dem Günter sei Ball) wie sowieso auf Erfindungen: „Burschdwich“ ist der Besen, vom Borstenwischer abgeleitet. „Kuddeln“ ist trinken, „zutschn“ auslutschen.

„Sehr, sehr wichtig“ ist Olaf Scholz alles, also was?

In der „Leipziger Volkszeitung“ schreibt Josa Mania-Schlegel, dass 2G im Erzgebirge nicht geimpft oder genesen bedeute, sondern „geener gommt“ – keiner kommt in jene Kneipen, die 2G verlangen. „Ausbuzeln“ (ausschlafen) ist also ein passendes erzgebirgisches Wort des Jahres.

In Leipzig: mein erster Besuch beim 1. FC Lok. Im Bruno-Plache-Stadion wird gesungen wie überall in Deutschlands Arenen, aber was das Gesungene bedeutet, versteht man nur hier: „Energie, Energie ist so scheiße wie Chemie.“ (Das Lied würdigt zwei Konkurrenten.) Doch nein, wir feiern nicht. Ist nicht eben sie das Problem: unsere vielstimmige Sprache?

Es gibt ein Problem, zweifellos. Österreich, die Schweiz und Deutschland führen die Tabelle der Nichtgeimpften in Westeuropa an, jene drei Länder, in denen eine Art Deutsch gesprochen wird. Die „New York Times“ beschreibt Deutschland als den Staat, welcher der Welt 2020 gezeigt habe, wie eine Pandemie zu bekämpfen sei – und nun scheitere.

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Nun wäre es einfacher, denn was für eine kollektive Leistung ist der Impfstoff nach so kurzer Zeit, doch nun sind wir zu spät mit Beschlüssen, tun auf internationalen Gipfeln so, als seien wir Vorbild in Sachen Demokratie, haben aber in Berlin keine Führung.

Wir sind abgelenkt und streiten über Glühwein. Wir schaffen es nicht, die Impfpflicht zu beschließen, die es seit Monaten bräuchte, schaffen es nicht, Schulkinder zu schützen. Stringenz bekommen wir nicht hin, Disziplin nicht, Entschlusskraft nicht, und alle reden durcheinander.

Es liegt an den Worten Angela Merkels, die im immer gleichen Sound „ein harmonisches, gleichlautendes Verhalten und gleichlautende Maßnahmen in Deutschland durchzuführen“ wünscht; an den Worten Olaf Scholz’, der jedes Füllwort zweimal sagt: „Sehr, sehr wichtig“ ist ihm alles, also was?

Trotzdem: Nein, das Problem ist nicht die deutsche Sprache, denn die kann erstens nichts dafür und zweitens poetisch präzise sein. Es geht seit jeher und weiterhin darum, wie liebeszart und schneidend wir unser Zauberdeutsch einsetzen. „Zauberwind“ war übrigens das erste Wort, das mein Sohn in seiner Kita sprach. Er sagte es nicht, er sang es.