Satt, träge, selbstgerecht: Das DFB-Team zeigt, wie unsere Gesellschaft momentan tickt

Kein Plan, keine Leistung, kein Konzept: Wir haben bei der Weltmeisterschaft genau die Nationalmannschaft bekommen, die wir aktuell verdienen. Sie ist ein Spiegelbild unserer Gesellschaft. Das Resultat der Fußball-WM in Katar ist das Ergebnis einer jahrelangen Misswirtschaft, die im besten Fall auf Besitzstandswahrung aus ist, im Prinzip aber zu nichts als sukzessivem Abstieg führt.

Wir haben den Fokus und unseren inneren Kompass vollkommen verloren. Den Sinn für die wichtigen Dinge, den Sinn für die richtigen. Rund um die WM, so kam es mir vor, spielten alle möglichen Themen eine Rolle, nur nicht der Sport. Der Fußball. Schon die Diskussion um die richtige Unterbringung für unsere Herren-Nationalspieler war an Absurdität kaum zu überbieten. Statt wie die meisten anderen Teams in einem der zahlreichen Fünf-Sterne-Hotels im Herzen Dohas zu wohnen, zog die DFB-Elf es vor, in einem noch feudaleren Luxus-Ressort hoch oben im Norden der katarischen Hauptstadt zu logieren – was darin gipfelte, dass ein Spieler nicht zu einer für alle Mannschaften obligatorischen Pressekonferenz in Doha erschien, weil 120 Kilometer Anfahrtsweg angeblich nicht zumutbar gewesen wären…

Weniger leisten, mehr bekommen. Natürlich müssen wir an dieser Stelle auch ein paar Worte über die unsägliche, weil völlig überhöhte und aus den Fugen geratene Armbinden-Diskussion hierzulande verlieren. Grundsätzlich sehe ich zwei Möglichkeiten. Erstens: wir fahren nicht zur WM und senden ein klares Zeichen durch Boykott. Dann aber bitte konsequent. Was auch hieße, nicht mehr den FC Bayern zu unterstützen, keine Spiele mehr von Paris St. Germain zu verfolgen, und letztlich auch keinen VW mehr zu fahren. Katar hält schließlich rund zehn Prozent der Aktien des Konzerns.

Das feudale Luxus-Ressort der deutschen Nationalmannschaft.
Das feudale Luxus-Ressort der deutschen Nationalmannschaft.
© IMAGO/MIS

Zweitens, wir fahren hin und versuchen wie andere Nationen Dinge im Dialog anzustoßen, ohne uns dabei als Werte-Polizei aufzuspielen und dabei alles auf der medialen Bühne auszubreiten. Die deutsche Delegation hat nichts von beidem beherzigt und sich stattdessen für einen peinlichen Schlingerkurs entschieden.

Peinlich deshalb, weil es am Ende – so zumindest mein Gefühl – in keiner Weise mehr um irgendwelche Menschenrechte ging, sondern einzig um die Wirkung des Diskurses. Die Debatte diente dem Selbstzweck. Mit der Abkehr vom Regenbogen als Symbol für Toleranz und Vielfalt stand mehr und mehr die PR im Vordergrund, die in einen völlig absurden Machtkampf mit dem Fußballweltverband Fifa ausartete. Marketinginteressen, so konnte man den Eindruck gewinnen, standen über vermeintlichen Überzeugungen, Show und schöner Schein über dem glaubwürdigen Interesse, Veränderungen anstoßen zu wollen.

Den Spielern mache ich keinen Vorwurf

Ich kann gut nachempfinden, warum die Welt nach dem albernen „Mund-zu-Protest“ über uns lachte. Ich würde ja selbst lachen, wenn es nicht so traurig wäre. Der Deutsche Fußball-Bund und seine Mannschaft haben bei der WM ein besorgniserregendes Bild abgegeben, das mich nachdenklich stimmt. Es muss ein radikales Umdenken stattfinden, sonst demontieren wir uns selbst. Den Spielern mache ich an dieser Stelle aber ausdrücklich keinen Vorwurf. Wenn wir eine Nationalmannschaft zur WM schicken, brauchen wir sie nicht zu politisieren. Von Lionel Messi, Kylian Mbappe und Neymar werden in ihren Ländern auch nicht ständig Einlassungen über die Löhne von Gastarbeitern und die Rechte von Schwulen gefordert. Ihr Job ist Leistung auf dem Platz – dem kommen sie nach.

Der Deutsche Fußball-Bund und seine Mannschaft haben bei der WM ein besorgniserregendes Bild abgegeben.
Der Deutsche Fußball-Bund und seine Mannschaft haben bei der WM ein besorgniserregendes Bild abgegeben.
© IMAGO/Ulmer/Teamfoto

Zumal nicht alle Sportler die kognitiven Kapazitäten haben, sich vernünftig und in aller Öffentlichkeit zu diesen Themen zu artikulieren. Ich warne auch generell davor, den Sport als Moralapostel über gesellschaftliche Themen hochzustilisieren. Dinge, die die Politik mit ihrer perfiden Doppelmoral nicht hinbekommt, kann und darf der Sport nicht leisten (wollen). Eine solche Überhöhung unseres Metiers halte ich für null zielführend, wir können uns bei diesen Themen nur verheben. Vielmehr sollten wir bei sportlichen Großveranstaltungen unseren Teil zu einer gelungenen Völkerverständigung beitragen.

Lasst uns mit gutem Vorbild vorangehen!

Anstatt ständig und überall über autokratische Ausrichter zu mosern und zu versuchen, ihnen unsere Moralvorstellungen und Denkmuster überzustülpen, sollten wir immer wieder den Dialog suchen und vermehrt selbst die großen Wettbewerbe austragen. Europa- und Weltmeisterschaften, aber auch Olympische Winter- und Sommerspiele. Lasst uns mit gutem Vorbild vorangehen und so zeigen, dass wir es besser können!

Ich warne generell davor, den Sport als Moralapostel über gesellschaftliche Themen hochzustilisieren.

Bob Hanning

Gestatten Sie mir an dieser Stelle auch noch ein paar Zeilen zur sportlichen Leistung unseres Teams. An einen ähnlich trostlosen Turnierauftritt einer deutschen Fußball-Nationalmannschaft kann ich mich nämlich nicht erinnern. Ohne Feuer. Ohne Eifer. Ohne Ehrgeiz. Ohne Mumm. Vom Gefühl her immer ein bisschen drüber, als wenn man sich für etwas Besseres hält. Wo ist die „Ärmel-hoch-Mentalität“ im deutschen Sport geblieben? Wo ist der Fleiß? Wo ist der Ehrgeiz? Tugenden, für die wir jahrzehntelang geschätzt und bewundert worden sind.

Unserer Nationalmannschaft wünsche ich neue Ideen und neuen Mut für ihren steinigen Weg zurück an die Spitze. Es bedarf klarer Entscheidungen mit klaren Konsequenzen. Ein „Weiter so“ wäre fatal. Die Trennung von Oliver Bierhoff darf meiner Meinung nach nur der Anfang sein. Tabula rasa ist jetzt angebracht. Kein Stein darf auf dem anderen bleiben. Wieso nicht mal Out-of-the-Box denken?

Unserer Nationalmannschaft wünsche ich neue Ideen und neuen Mut für ihren steinigen Weg zurück an die Spitze.

Bob Hanning

Ein Steffen Baumgart, das wäre mal einer für den Job des Bundestrainers. Ich kenne ihn nicht, aber der Junge macht schon beim Zusehen Spaß. Er würde Fehler machen, natürlich würde er das. Aber mit Leidenschaft. Und Fehler mit Leidenschaft, das weiß ich aus eigener Erfahrung, werden verziehen. Wir brauchen jetzt ehrliche Typen. Typen, die anecken. Typen, die anders sind.

Der Fußball hat dem gesamten deutschen Sport in den vergangenen Wochen einen Bärendienst erwiesen – vielleicht ergeben sich aus dem größtmöglichen Scheitern aber auch ganz neue Möglichkeiten. Jetzt haben wir die große Chance, Dinge neu zu denken und uns dabei ein Stück weit neu zu definieren: Leistung statt Labern. Mut auf dem Platz statt Meinung am Mikro. Mehr Sein, weniger Schein.

Ich sage aber ganz klar, und das möchte ich zum Abschluss noch einmal betonen: Wenn wir uns dieser Tage über unsere Nationalmannschaft aufregen, regen wir uns ein gutes Stück über uns selbst auf. Im Prinzip müssen wir dem deutschen Team dankbar sein, weil es zeigt, wie unsere Gesellschaft momentan tickt: Satt, träge, selbstgerecht. Deswegen lautet mein Ratschlag an uns alle: Ärmel hochkrempeln! Machen! Geredet haben wir genug.

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