Ein Zugpferd für das deutsche WM-Team
Das Wort „Zugpferd“ wird landläufig im deutschen Sprachgebrauch metaphorisch benutzt. In 99 Prozent der Fälle geht es hierbei nicht um ein Pferd, das irgendwas oder irgendwen mit der Kraft seiner Stärken von einem an einen anderen Ort befördert. Vielmehr ist dann die Rede von einem Menschen, der alleine aufgrund seiner einzelnen Prominenz die Aufmerksamkeit auf besondere Events, Parteien, Sportarten oder auch Teams lenkt.
Bei der Kapitänin der deutschen Eishockeynationalmannschaft Julia Zorn haben wir es mit einer anderen Art von Persönlichkeit zu tun. Na klar, für Frauen-Eishockeyverhältnisse ist sie gewiss eine der bekanntesten, wenn nicht die bekannteste aktive Spielerin. Allerdings steht das Frauen-Eishockey in Deutschland im großen Schatten von vielen anderen Sportarten.
Deshalb ist der Name der 31-Jährigen selbst unter Eishockeyfans längst nicht jedem geläufig. Und das, obwohl die Nummer 8 des Nationalteams schon über 200 Länderspiele absolvierte, an acht Weltmeisterschaften und den Olympischen Spielen 2014 teilnahm.
Zorn stammt aus dem Nachwuchs der Wanderers Germering und ist ein Multitalent, das es so nur einmal gibt. Sie startete 2003 beim deutschen Rekordmeister ESC Planegg-Würmtal als Torhüterin und wechselte dann, allerdings schon vor über zehn Jahren, in den Sturm. Als Angreiferin erzielte sie im Nationaltrikot bisher 50 Tore. Es ist also keineswegs so, dass sie sich nur in der vierten Sturmreihe verstecken würde. Im Gegenteil.
Im einzigen Testspiel für die Weltmeisterschaft in Calgary am vergangenen Mittwoch sorgte Zorn für ein Tor und entschied die Partie gegen Dänemark, einen der Hauptkonkurrenten im Kampf um den Viertelfinaleinzug, im Penaltyschießen zugunsten des DEB-Teams.
Armbänder zur Kontaktnachverfolgung und Ortung
Die Kapitänin geht voran. Das wird auch im morgigen WM-Auftaktmatch gegen Aufsteiger Ungarn (20 Uhr, live auf www.thefan.fm) der Fall sein. Die Bayerin läuft, kämpft und schießt im Namen des Teams. Dabei achtet sie sehr auf ihre Arbeitsgeräte, vor allem die Schlittschuhe. Die kleine Eisfläche auf der im Eisstadion im Olympiapark der olympischen Spiele von 1988 gespielt wird, liegt ihr. „Das Spiel ist dadurch schneller und macht auf jeden Fall mehr Spaß“, sagt Zorn nach den Erfahrungen der ersten Trainingseinheiten und des Vorbereitungsmatches.
Die Bedingungen vor Ort in Calgary sind leicht gewöhnungsbedürftig. Außer dem Hotelzimmer und der Eishalle sehen die Frauen nichts von der größten Stadt der kanadischen Provinz Alberta. Und damit sie sich auch alle an die Regeln halten, tragen sie Armbänder zur Kontaktnachverfolgung und Ortung. „Das ist für uns Sportlerinnen normal. Da wir ja auch aufgrund der Anti-Doping-Regeln fast ,nackt’ durch die Welt gehen.“ Julia Zorn ist nach den stressigen Tagen, Wochen und Monaten zuletzt einfach froh, vor Ort zu sein und in die WM zu starten.
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Schon vor der WM-Verschiebung von April auf August hatte die neue Deutsche Meisterin Rückschläge für drei Jahre erlebt. Und es war vor allem ihrem Kampfgeist zu verdanken, dass es weiterging. Die 41-jährige Kathrin Lehmann, ihre Mannschaftskollegin bei Planegg sagte nach dem Gewinn der Meisterschaft: „Ohne Julia Zorn wäre es sowieso nicht weitergegangen.“
Dabei spielt sie darauf an, dass Zorn es war, die alle Teams und den Deutschen Eishockey-Bund (DEB) im Herbst, als pandemiebedingt nur noch die Profi- und Spitzensportler*innen weiter trainieren und spielen durften, an einen Tisch brachte, um die geforderten Voraussetzungen zu schaffen und somit die Fortsetzung der Deutschen Frauen-Eishockey Liga (DFEL) einleitete.
Nach einer Gehirnerschütterung musste sie lange pausieren, kämpfte sich aber zurück und trug ein Tor im Finalturnier zum Gewinn der Meisterschaft bei. Sie kann nicht einfach nur mitlaufen und nicht auffallen.
Julia Zorn ist für das deutsche Eishockey, vor allem im vergangenen Jahr, ein Zugpferd gewesen und hat viele mitgerissen. Sie hat unermüdlich geackert, nicht nur auf dem Eis. Dort aber zählt es ab Samstag. Damit es wieder einen kleinen Schritt vorwärts geht.