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Der aktuelle Jahresbericht von Amnesty International zeichnet ein düsteres Bild von der globalen Menschenrechtslage. Seitdem das Virus durch die Welt rollt, haben sich Ungleichheit und Diskriminierung noch verstärkt, Flüchtlinge finden keine Aufnahme mehr oder werden abgeschoben. Sexualisierte Gewalt nimmt zu. Darüber hinaus kommen schutzbedürftige Gruppen nicht in den Genuss der Corona-Impfung. Die Pandemie hat aber auch Mittelmäßigkeit und Verlogenheit, Egoismus und Betrug unter den Machthabenden dieser Welt verstärkt, heißt es im Bericht.
Um vor diesem Hintergrund einen hellen „Vorschein“ im Sinne Ernst Blochs zu entwerfen, muss man schon positiv gestimmt sein. Der 1960 geborene Jurist Wolfgang Kaleck ist einer dieser unermüdlich wirbelnden Anwälte in Sachen Menschenrechte. 2006 wagte er es, den damaligen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und CIA-Chef George Tenet bei der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe wegen Kriegsverbrechen und schwerer Menschenrechtsverletzung im Irakkrieg anzuzeigen.
Er scheut sich aber auch nicht, den Hoffnungsstern Ernst Blochs in seinem neuen Buch „Die konkrete Utopie der Menschenrechte“ aufzuziehen und mit Walter Benjamins Engel der Geschichte eben jenen „Blick zurück in die Zukunft“, so der Untertitel, zu richten, der es ermöglicht, den Begriff der Menschenrechte zu erweitern.
[Wolfgang Kaleck: Die konkrete Utopie der Menschenrechte. Ein Blick zurück in die Zukunft. S. Fischer, Frankfurt a.M. 2021.167 Seiten, 21 €.]
Seine im ersten Teil vorgelegte Darstellung der Geschichte der Menschenrechte mutet zunächst nicht so optimistisch an, auch wenn es immer wieder die Unterdrückten waren, zuerst die Frauen, dann die Sklaven, die auf immer wieder andere Weise gegen die institutionalisierte Gewalt protestierten. Gleichzeitig musste die Bewegung viele Rückschläge einstecken. Scheinbar gültige universale Beurteilungsmaßstäbe wurden von den überall aufkommenden nationalpopulistischen Strömungen unterlaufen.
Gescheitertes Sondertribunal
Auch das machtpolitische Gefüge in den UN-Organisationen – erinnert sei an das durch das Veto mehrerer Großmächte gescheiterte Sondertribunal zu Syrien – torpedierte entsprechende Anstrengungen. Doch selbst wenn auf juristischer Ebene, so Kaleck, Kampagnen oft scheiterten, sensibilisierten sie die Menschen für das Thema.
Die Instrumentalisierung der Menschenrechte für Kriegsabenteuer oder zur Entlarvung missliebiger Staaten haben die damit verbundene Arbeit allerdings, insbesondere bei Völkern und Bewegungen, die dem westlichen Paternalismus ohnehin kritisch gegenüberstehen, in Misskredit gebracht. Das ist auch eine Achillesferse von sich strikt neutral gebenden Organisationen wie Amnesty International.
Ein scharfes Auge wirft Kaleck auch auf die Mittelkonkurrenz zwischen den Organisationen oder einzelnen Sektionen, denn Geld und Einfluss konzentrieren sich nach wie vor im spendenstarken globalen Norden zu Lasten der Arbeit in jenen Ländern, in denen es um die Menschenrechte besonders schlecht steht.
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Allerdings sieht Kaleck auch hoffnungsfroh auf jene Bewegungen, die die Menschenrechte gar nicht im Wappen führen, die globale Klimabewegung etwa, aber durchaus anschlussfähig sind für Menschenrechtsaktivist:innen. Das würde allerdings voraussetzen, den Menschenrechtsbegriff auf soziale Rechte auszuweiten. In vielen Ländern wie in Südafrika, Bolivien, dem Kongo oder Kamerun werden sie juristisch eingefordert. Indien hat das Recht auf Nahrung sogar in seiner Verfassung verankert.
Dass sich die Betroffenen dennoch nicht auf den juristischen Weg verlassen sollten, entnimmt Kaleck Katharina Pistors einflussreichem Buch „Der Code des Kapitals“ (Suhrkamp). Denn das Recht ist prädestiniert, die ungerechte Ordnung zu zementieren. Energisch tritt er dagegen all jenen Defätisten entgegen, die nur noch die Endzeit der Menschenrechte beklagen. Er plädiert für neue Kooperationen, beispielsweise auch mit Kunstschaffenden. Vor allem aber lässt er keinen Zweifel daran, dass der Kampf für Menschenrechte kein Mittelschichtsprojekt ist.