Der Rap der französischen Vorstädte: „Mein Hass gibt mir Sauerstoff“

Die derzeit größten französischen Popstars sind die Brüder Tarik und Nabil Andrieu, die sich Ademo und N.O.S. nennen. Der Name ihres Hip-Hop-Duos PNL steht für „Peace N’ Lovés“, einen Slangausdruck für Frieden und Geld. Den Videoclip zu ihrer Rapballade „Au DD“, der bei Youtube über 220 Millionen mal aufgerufen wurde, drehten sie auf der Spitze des Eiffelturms.

Aufgewachsen sind sie in einer Hochhaussiedlung, die familiären Wurzeln liegen in Algerien und Korsika. Auf der Bühne geben sich Ademo und N.O.S. nahbar, teilen ihre Joints mit den Fans und wickeln sich in algerische Flaggen, die ihnen zugeworfen werden.

Mit ihrer Debütsingle „Le monde ou rien“ (Die Welt oder nichts) eroberten PNL 2015 den französischen Mainstream. Der Titel wurde zum Slogan der 2016 in Paris entstandenen sozialen Bewegung „Nuit Debut“, die sich gegen Massenarbeitslosigkeit und soziale Kälte richtete. Zuletzt war ihr Stück auch wieder zu hören, nachdem der 17-jährige Nahel M. bei einer Fahrzeugkontrolle durch eine Polizistenkugel gestorben war und Frankreichs Vorstädte brannten. Viele Jugendliche ließen ihrer Wut freien Lauf, frustriert, weil schon wieder einer von ihnen gestorben war.

1993 war der 17-jährige Makomé M’Bowolé von einem Polizisten erschossen worden. Sein Tod diente Mathieu Kassovitz als Vorlage für seinen Film „Hass“, der auch bei einem Publikum Anklang fand, das nicht aus der Banlieue stammt. Ein ähnlicher Aufruhr wiederholte sich, als 2005 die beiden Jugendlichen Zyed Benna und Bouna Traoré im Verlauf einer Verfolgungsjagd durch die Polizei ums Leben kamen. Der damalige Innenminister Nicolas Sarkozy bezeichnete die Protestierenden als „Gesindel“, das man mit einem „Kärcher“ entfernen solle.

Die Hochhausghettos am Rand der französischen Großstädte sind zum Symbol der Ausgrenzung geworden. Dort leben überwiegend Migrant*innen aus den ehemaligen französischen Kolonien und ihre Nachkommen. Die Arbeitslosigkeit ist groß, Zukunftsperspektiven gibt es kaum.

Diskriminiert wegen der falschen Postleitzahl

Wer eine Postleitzahl besitzt, die zu einer Banlieue gehört, wird beim Einstieg ins Berufsleben oder bei der Wohnungssuche oft diskriminiert. Jugendliche, die dort leben, fühlen sich ausgeschlossen und gleichzeitig gefangen. Bei Polizeikontrollen kommt es immer wieder zu Ausschreitungen.

Tarik und Nabil Andrieu sind in der berüchtigten Pariser Banlieue-Siedlung Les Tarterêts bei Corbeil-Essonnes aufgewachsen. In ihren Songs haben sie ihre Lebensgeschichte erzählt, mit viel Autotune-Gesang zu wolkigen Synthesizer-Sounds. Die Gewalt auf den Straßen bescherte Les Tartetrêts auch den Spottnamen „Le zoo“, mit dem französische Medien auf die „animalische“ Gewalt der Menschen in den Banlieues anspielten. PNL begegneten dem Rassismus des Begriffs, indem sie mit den Händen stolz das Z formen, das zum Erkennungszeichen ihres Herkunftsviertels geworden ist.

PNL spielen mit Symbolen, Codes und Referenzen auf Disney, Gangsterfilme wie „Scarface“ und islamische Metaphern. In ihren Texten und ihrer Ästhetik eignen sie sich die Klischees des „Wilden“ an, die auf migrantisch gelesene Körper projiziert werden, indem sie sich zum Beispiel mit Mogli aus dem „Dschungelbuch“ oder dem Bösewicht Dschafar aus dem Disney-Trickfilm „Aladdin“ vergleichen. So heißt es in „Je t’haine“ (ich hasse dich): „Fick Aladdin, ich bin Dschafar“. Und in „J’comprends pas“ warnen sie: „Bruder, ich bin bösartig geworden, keine Jasmin für Dschafar“.

Aubervilliers ist eine Hochhaussiedlung am Rand von Paris. Ademo und N.O.S. wuchsen ganz in der Nähe auf, in der berüchtigten Banlieue-Siedlung Les Tarterêts.
Aubervilliers ist eine Hochhaussiedlung am Rand von Paris. Ademo und N.O.S. wuchsen ganz in der Nähe auf, in der berüchtigten Banlieue-Siedlung Les Tarterêts.
© imago/PanoramiC

PNL geben aus Prinzip keine Interviews. „Fickt eure Interviews, ich hätte in euren Hunde-Reportagen vorkommen können“, singen sie in dem Stück „Tu sais pas“ auf ihrem dritten, 2016 herausgekommenen Album „Dans la Légende“. Damit entziehen sie sich dem voyeuristischen Blick und der abwertenden Darstellung der Vorstädte. Über ihren Erfolg spotten sie, etwa, indem Ademo in einem Lied feststellt: „Früher war ich hässlich im Ghetto, heute gefalle ich Eva Mendez“.

Ihre letzten beiden Platten erreichten nicht nur in Frankreich, sondern auch in Belgien und der Schweiz den ersten Platz der Charts. Trotzdem machen PNL ihre Musik weiterhin vor allem für Menschen, die aus ähnlichen Verhältnissen wie sie selbst stammen. In ihrem Song „91’s“ stellen sie klar, dass sie ihr Viertel so darstellen, wie sie es wahrnehmen, nämlich mitsamt „der Scheiße“.

Nummer eins in Frankreich, Belgien und der Schweiz

„Que la famille“, so heißt ihr 2015 erschienenes Debütalbum: nichts als die Familie. Der Titel ist zum Leitmotiv von Ademo und N.O.S. geworden. Zur Familie gehören die Menschen und Freunde aus Les Tartêrets, mit denen sie aufgewachsen sind. Ihnen haben sie ihre Musik gewidmet, ihnen fühlen sie sich bis heute verpflichtet.

Gegenüber den Parisern bleiben sie auf Abstand, PNL fürchten eine kommerzielle Vereinnahmung, wie Kassovitz einst mit seinem Film „Hass“ erlebt hat. In ihrem Stück „Deconnecté“ erklären sie: „Das Elend, ihr schaut es euch an, wir streicheln es nicht wie ihr (La misère, tu la regardes, on la caresse pas comme vous).“

In ihren Videos und Konzerten zeigen sich PNL oft zusammen mit einer Gang aus Kindern, Jungen und Männern. Mit dem Zusammenhalt, den sie ausstrahlen, haben Ademo und N.O.S. eine Identifikationsmöglichkeit geschaffen für diejenigen, denen von der Mehrheitsgesellschaft die „Brüderlichkeit“ (Fraternité) verweigert wird. Die revolutionäre Parole „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ (Liberté, Égalité, Fraternité) ist bis heute der Wahlspruch der Republik.

Die Wut wurde zum Antrieb ihrer Kreativität

Der Schriftsteller Édouard Louis hat gefordert, dass die französischen „Arbeiterviertel“ nicht mystifiziert werden sollen, weil ihnen damit ihre eigene Stimme genommen wird. In den Banlieues aufzuwachsen, ist alles andere als romantisch. Das stellen PNL in ihren Texten immer wieder klar, sie benennen das Elend der Vorstädte, sie glorifizieren es nicht.

„Es tut weh, meinesgleichen am unteren Ende [der Gesellschaft] zu sehen“, heißt es in ihrem Stück „DA“. Ihre Kindheit und Jugend in der Hochhaussiedlung hat sie geprägt, die Wut wurde zum Motor ihrer Kreativität. „Die Tränen des Elends haben den Geschmack meines Hasses, außer Atem gibt mir mein Hass Sauerstoff“, singen sie in „Le monde ou rien“.

Für PNL ist die Musik zu einem Ventil geworden, mit dem sie ihre Wut loswerden können. Den meisten Jugendlichen, die am Rand der Großstädte aufwachsen, fehlt ein solches Ventil, deshalb lassen sie ihren Frust immer wieder auf der Straße aus. Und wenn sich die Verhältnisse nicht grundlegend ändern, dann wird es in den französischen Vorstädten wohl auch in Zukunft immer wieder einmal brennen.