Geben wir dem Fußball eine Chance!
Es lässt sich viel Negatives über die Fußball-Europameisterschaft der Männer sagen. Immer noch tobt die Pandemie durch den Kontinent. Muss es da unbedingt sein, dass ab Freitag 24 Mannschaften durch zehn Länder reisen? Ja, bis nach Aserbaidschan, also außerhalb Europas, fahren diese möglichen Superspreader in kurzen Hosen.
Diese EM ist eine Idee aus Zeiten, in denen die Angst vor einem globalen Virus noch nicht unser Leben bestimmte. Natürlich ist es auch ein Diktat des Geldes, dass die Profis nun ein Jahr später als geplant gegen den Ball treten.
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Wieder einmal, so wirkt es, gestattet sich der Profifußball eine Sonderrolle, darf vieles, was gewöhnliche Menschen nicht machen dürfen oder aus Rücksicht auf ihre und die Gesundheit anderer nicht machen wollen. Muss das sein? Nein, aber diese Europameisterschaft kann stattfinden, weil sie auch eine Chance ist.
Das Mitfiebern und Mitleiden bei den Spielen – es gibt vieles, was an der schönen Nebensache EM für viele von uns im kommenden Monat bei Gesprächen eine Rolle spielen wird. Vielleicht ist es auch die erste Begegnung mit lange nicht gesehenen Freunden beim Public Viewing, die Fußballparty im Garten. Vielleicht die Freude an den Tipprunden.
[Tipps zum Public Viewing der EM in Berlin finden Abonnenten von T+ hier: In diesen Restaurants und Biergärten werden EM-Spiele gezeigt]
Dieses Turnier gibt uns ein Stück alte Normalität zurück. Es verbindet ein rissig gewordenes Europa, in dem zwischenzeitlich sogar alte Grenzen wieder hochgezogen wurden. Der Fußball reißt sie nun für sich ein. Diese Europameisterschaft kann uns neue Lebensfreude verschaffen, wenn wir das wollen. Und wir können das schaffen, ohne dabei unseren kritischen Blick zu verlieren.
Der Fußball ist ein Spiegel des Lebens
Der Fußball ist ein Spiegel des Lebens. Das ungetrübte schöne Erlebnis gibt es auch da oft nicht. Denken wir zurück an die Sommermärchen-Weltmeisterschaft von 2006. Deutschland gewann damals international an Profil, stand für ein auf einmal traumhaftes, weltoffenes Land. Ein paar Jahre später wurde das Turnier rückwirkend durch diverse Skandale getrübt. Aber hat es deshalb das während der WM Erlebte zerstört?
Denken wir nicht noch gerne an legendäre Spiele zurück, wie etwa an das Elfmeterdrama im Viertelfinale der deutschen Mannschaft gegen Argentinien? Denken wir nicht mal an die lustigen Jungs aus dem deutschen Team, die als Stoff für einen Kinofilm gut waren? Denken wir nicht an die fröhlich Feiernden auf den Straßen und an die Sonne, die das Märchen, das keines war, als Kulisse durch den Sommer trug?
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Vielen von uns hat er gefehlt, der Fußball und die Diskussionen um ihn herum. Stichwort Bundestrainer. Wobei das diesmal im Falle des Misserfolgs der Deutschen etwas leiser ausfallen dürfte. Denn nach der EM tritt Joachim Löw zurück. Was uns nicht gefehlt hat, ist tumber Nationalismus. Die Gefahr, dass die Mannschaft für falschen Nationalstolz herhalten muss, ist allerdings gering – weil das Team in seiner Zusammensetzung eben für Diversität steht, für ein modernes Deutschland.
Geben wir dem Fußball eine Chance, mag er auch in Zeiten der Pandemie egoistisch gewesen sein. Die deutsche Bundesliga hat schon gespielt, als andere Sportarten noch nicht einmal daran denken konnten. Nun geht es los mit Zuschauern – auch das ein Hoffnungsschimmer. Angesichts erster Corona-Fälle bei den Teams von Spanien und Schweden gibt es natürlich erlaubte Zweifel. Aber die spielen immer mit in diesen Zeiten, auch im Sport.