Lass uns Jein zueinander sagen

Genialer Titel jedenfalls. Nicht so entschieden wie ein Nein. Nicht so patzig wie ein Nee. Nö. In dieser Silbe steckt das ganze windelweiche Geeiere, dass das neobürgerliche, aber genau diese Konventionen verabscheuende Beziehungsleben urbaner Thirtysomethings auszeichnet.

Und nicht nur der. Eigentlich aller bindungsunfähiger Beziehungssehnsüchtiger, seit Woody Allen in den seligen Siebzigern den komödiantischen Tonfall gesetzt hat, dem dann im Kino Scharen neurotischer Helden und Heldinnen folgten.

Dietrich Brüggemann führt Regie

„Nö“ ist die fünfte Gemeinschaftsarbeit der Geschwister Anna und Dietrich Brüggemann. Und wie immer fällt das Drehbuch des Regisseurs und der Schauspielerin originell aus und punktet mit treffenden Dialogen. Wobei „Nö“ – anders als das Religionsdrama „Kreuzweg“ – auf explosive gesellschaftliche Tretminen verzichtet und deutlicher harmloser gerät.

Dietrich Brüggemann, der zuletzt als Mit-Initiator der umstrittenen Aktion #allesdichtmachen aufgefallen ist, nutzt nach seinem Diplomfilm „Neun Szenen“ und „Kreuzweg“ erneut die konzeptionelle Strenge von Tableaus. Jedes Bild des Paarlebens ist als Totale gefilmt, innerhalb der Alexander Sass’ Kamera nur schwenkt und fährt.

Das hat einen abstrahierenden, theatralischen, aber auch komischen Effekt. Etwa, wenn Rüdiger Vogler als Patient auf dem OP-Tisch aus der Betäubung erwacht und anfängt, auf den entsetzten Operateur Michael einzubramabasieren. Den spielt der komödiantisch bestens aufgelegte Alexander Khuon.

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Mit den Worten „Wir ziehen ein Programm durch, dass wir uns nicht selbst ausgedacht haben“ sät Michael in der Eingangsszene – einem köstlichen Bett-Dialog im kuscheligen Halbdunkel – Zweifel in seine Zweisamkeit mit Dina (Anna Brüggemann). Vielleicht sei es doch besser, sich zu trennen, stellt er als Gedankenspiel in den Raum. „Nö“, bescheidet Dina ihn bündig. Immerhin liebten sie sich „und entscheidend ist: uns sind dieselben Sachen piepegal“.

15 Episoden aus neun Jahren

In 15 Situationen skizziert „Nö“ über neun Jahre hinweg Partnerschaft und Familiengründung des Arztes und der Schauspielerin. Trotz der ewigen Überlegungen, ob dieses Leben und diese Liebe nur der Plan B sind, der einen vom Plan A abhält, bekommen sie zwei Kinder und schlagen sich wacker durch deren Aufzucht.

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Und das, obwohl sich Dina mit dem Neugeborenen zuerst gar nicht aus der Geburtsstation traut. „Da draußen ist Krieg“, raunt sie Michael zu. Der tut ihre Panik als Überspanntheit einer Niedergekommenen ab. Doch auf dem Klinikflur setzt es Schüsse, Explosionen, Tote, Verwundete. Zumindest in der lebensecht inszenierten Halluzination von Dina, die den Beschützerinstinkt einer Mutter persifliert, die ihr Baby durch ein feindseliges Chaos trägt.

Abrechnung mit Väter-Patriarchen

Davon, dass Väter den Fötus wiederum als Feind im Bauch der Geliebten empfinden können, erzählt die Szene mit Mark Waschke als zynischem Gynäkologen. Während er beim Ultraschall Sprüche klopft („Trisomie 23 muss heute nun echt nicht mehr sein“), verwandelt sich der Kopf des Babys in Michaels Augen immer wieder in einen Monsterschädel.(

[In den Berliner Kinos Bundesplatz und Kant]

Die absurden Szenen einer Ehe, die Michael und Dina natürlich nicht schließen, lösen nach und nach Momente bitterer Vergeblichkeit ab. „Nö“ ist auch eine Abrechnung mit den letzten Patriarchen-Vätern. Hanns Zischlers Joachim ist so ein versteinerter Quadratschädel, der noch auf dem Sterbebett die Gefühle vermissen lässt, die Gattin Gertrud (Isolde Barth) zu viel hat.

Der Generationen- Stoßseufzer „So wie die wollen wir nie werden“ scheint als unsichtbare Denkblase über Michael zu hängen, der als Prototyp des unreifen Mannes verballhornt wird. Die Zeit jedoch, die auch ewige Adoleszenten auslutscht, ist mächtiger als ironisches Lavieren. Und dann hilft es plötzlich nicht mehr, einfach nur Nö zu sagen.