Tango mit William
Sind Bühnenkünstlerinnen auf sich zurückgeworfen, besinnen sie sich auf die Kraft der Klassiker. Im Kulturlockdown hatten sie viel Zeit dazu. Schönste Blüte des Shakespearianertums war die Twitter-Aktion von Patrick Stewart. Der britische Schauspieler, der als Captain Picard (Star Trek – Next Generation) und Professor Xavier (X-Men) noch populärer wurde als mit Bühnenrollen, ging mit seiner Lesung aller 154 Sonette von William Shakespeare viral.
Von der Ehefrau gefilmt, hockte Stewart in wechselnder Oberbekleidung daheim und las mal mit heiserer Greisenstimme, mal jugendlich frisch die 1609 erstmals erschienenen Verse. Für 3,6 Millionen Followern, von denen sicher nicht alle wussten, dass diese für die Zeitgenossen durchaus provokanten Gedichte den Beginn der modernen Lyrik markieren.
Auch Kollege Ian McKellen las mit
Spätestens als Kollege Ian McKellen vorbeischaute und mitmachte, war das Leseding Kult. Schwer zu sagen, was mehr beeindruckte, die Schönheit und Rätselhaftigkeit der an Männer wie Frauen gerichteten Shakespearschen Minne, oder die ernste Hingabe des alten Schauspielers an Dichtkunst und plastischen Vortrag.
Die lässt sich auch der fast 40 Jahre jüngeren Schauspielerin Birgit Minichmayr nachsagen. Die Burgtheater-Heroine hat unter dem sprechenden Titel „As an unperfect Actor“ ein Debütalbum mit neun gesungenen Sonetten herausgebracht.
Entstanden ist es im Lockdown-Winter des Missvergnügens, auf Initiative des Jazzpianisten Bernd Lhotzky, der die Sonette für Minichmayr ausgesucht, vertont und arrangiert hat.
Nicht, dass Birgit Minichmayr, die im August in Schillers „Maria Stuart“ Premiere bei den Salzburger Festspielen feiert, nicht schon zuvor gesungen hätte. Hat sie. In Theaterinszenierungen, allen voran die Polly in Klaus Maria Brandauers Berliner Inszenierung der „Dreigroschenoper“. Und im Duett mit Campino von den Toten Hosen. Bei deren Hit „Tage wie diese“ wird sie sogar zusammen mit dem Sänger als Liedtexterin genannt.
Trotzdem ist Verse singen auch für eine Shakespeare-Darstellerin, die als Lady Macbeth, Ophelia und König Lear mit der Sprache des Dramatikers vertraut ist, nochmal was anderes.
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Man hört Minichmayrs manchmal etwas überpointierter Intonation an, dass die Phrasierung der altenglischen Originalsprache Arbeit für sie ist. Das Fremdeln unterstreicht seltsamerweise den Diseusenfuror, mit dem sie aus jedem Lied eine kleine theatralische Miniatur formt.
So wie in „My Mistress’ Eyes“, dem Sonett 130, in dem Minichmayrs betont tiefergelegter Alt den handfesten erotischen Reiz einer hässlichen Geliebten gegen das Ideal unerreichbarer Schönheit setzt.
Von Biermann bis zu Bryan Ferry
Die metrische Musikalität der 14-Zeiler hat von Brian Ferry über Wolf Biermann bis zu Rufus Wainwright ganz unterschiedliche Songschreiber zu Vertonungen animiert. Sonett, das kommt vom lateinischen sonare und bedeutet „kleines Tonstück“. Im Barock wurden sie „Klinggedicht“ genannt. Das passt zu Bernd Lhotzkys Liedern.
Allerdings macht er auf dem nach Sonett 23 benannten Album durch Instrumentalpassagen lange Tonstücke daraus. Nicht mittels elisabethanischen Lautenliedguts der Marke John Dowland, sondern in modernerer, trotzdem nostalgischer Klangfarbe. Sie changiert zwischen Tanzlokal in Buenos Aires, Pariser Straßencafé und New Yorker Jazzclub.
Das Ensemble Quadro Nuevo des Saxofonisten Mulo Francel ist Lhotzkys und Minichmayrs Mitstreiter. Ein warmer Kontrabass, Bandoneon und expressive Latino-Percussion legen den treibenden Grund für die melodiösen Girlanden, die Klavier, Saxofon, Klarinette, Akkordeon und Gitarre in wechselnden Soli winden.
Shakespeare tanzt Tango. Und Birgit Minichmayrs tolles, aufgerautes Organ singt mal Chanson, mal Barjazz dazu. Beider Melancholie korrespondiert mit den kritischen Tönen, die das lyrische Ich in „Sin of Self-Love“ anschlägt. Und auch mit dem Weltekel von „Tired with all these“, einer finsteren Abrechnung mit der verlotterten Menschheit.
[“As an unperfect Actor – Nine Shakespeare Sonnets” ist bei ACT Music erschienen.]
Am meisten zu Herzen geht die von einem einsamen Tenorsaxofon eingeleitete Ballade „How like a winter“, in der Birgit Minichmayr so sanft von verstummten Vögeln und bleichen Blättern singt, dass immer noch ein Funke Sommerwärme in der im Frost erstarrten Landschaft glimmt.
Sängerin, Arrangements, Band – alles stimmt. Der Anspruch jedoch, Shakespeares Sonette in die Gegenwart zu tragen, lässt sich so schwerlich einlösen. Da bräuchte es eine ganz andere Musik. Keine, die sich so gepflegt vor die Magie der altenglischen Wörter schiebt. Denen gesungen nicht immer folgen zu können, schadet angesichts des Textheftes nicht. Nichts ist banaler als Lieder, die jede und jeder sofort versteht.