Die Menschheit braucht Trost
Am Eingang zur Philharmonie scheidet sich die Menschheit in App-Kundige und jene, die ein Zettelchen mit ihren Kontaktdaten füllen müssen. Das maskierte Hantieren mit Zertifikaten und Identitätsnachweisen ist ein stockendes Ritual aus Widerwillen und Überforderung. Wer es durchlaufen hat, fühlt sich verwundbarer als zuvor.
Besser als mit Gabriel Faurés Requiem kann man danach nicht ankommen im Konzert. Denn diese Totenmesse verzichtet auf die Schreckensvision des „Dies irae“. Das Grauen des Jüngsten Gerichts, aus dem Verdis Messa da Requiem seine archaische Kraft schöpft, fällt aus. Die Menschheit bedarf des Trostes, war sich Fauré sicher.
Philippe Herreweghe und die von ihm gegründeten Ensembles Collegium Vocale und Orchestre des Champs-Élysées sind beim Musikfest Berlin seine innigen Fürsprecher:innen. Faurés abgedunkeltes Klangbild schimmert zart in den historischen Instrumenten, ohne je kalten Bombast oder parfümierten Kitsch zu berühren.
Am Ende steht ein strahlendes “Halleluja!”
Stilsicher und mit minimaler Kraftanstrengung steuert Herreweghe seine eingeschworenen Musikerinnen und Musiker geradewegs ins Paradies, in einen der Zeitlichkeit entrückten Zustand der Schwerelosigkeit. Er klingt nach, während das Podium umgebaut wird und das Publikum auf seinen Sitzen ausharrt. Das endlos sich drehende Orgelmotiv bleibt noch im Kopf, als zwei Flügel aus dem Keller emporgefahren werden. Doch bis die Noten auf den richtigen Pulten liegen, ist es verschwunden.
Brahms’ „Begräbnisgesang“ mit seinen schleppend auf die gedämpften Bläser fallenden Eingangsworten „Nun lasst uns seinen Leib begraben“ bringt den Geruch feuchter Erde in die Philharmonie, aus der sich „die Seel, die lebt ohn alle Klag“ wundersam erhebt. Das Collegium Vocale singt das so mühelos wie Strawinskys „Psalmensinfonie“. Am Ende überstrahlt das „Halleluja!“ sanft das Hämmern der Klaviere.