Ins Innerste der Seele: Ein aufwühlender Hamlet-Abend an der Komischen Oper

Unfassbar, wie vielseitig und produktiv Dmitri Schostakowitsch in seinem mit 69 Jahren gar nicht mal so langen Leben war. Und weiterhin werden Sachen ausgegraben, die man zumindest hierzulande noch nicht kannte. Jetzt hat das Orchester der Komische Oper, im Umfeld der triumphalen Aufführung von Ambroise Thomas’ „Hamlet“-Oper, die Filmmusik aufgeführt, die Schostakowitsch 1963/64 für eine Hamlet-Verfilmung von Regisseur Grigori Kosinzew geschrieben hat.

Und damit nicht genug: Das als op. 116 firmierende Werk wird zusammengespannt mit einer Schauspielmusik, die Schostakowitsch 30 Jahre zuvor ebenfalls für eine Hamlet-Inszenierung in Moskau geschrieben hat, und mit einer weiteren Bühnenmusik zum gleichen Stück von Sergej Prokofjew. 

So entsteht eine gut einstündige, völlig neue, noch nie erklungene Suite. Es ist fantastische Musik, zittrig, fiebrig, aufwühlend, die dramatische Situation sehr genau erfassend, Seelenzustände auslotend. Schostakowitsch und Prokofjew haben hier ähnlich rhythmusbasiert komponiert, mit starker Betonung auf der Motorik und teilweise grellen Dissonanzen, so dass die drei Werke nahezu unmerklich ineinanderfließen.

Punktgenau, mit biegsamen Streicherklang, spielt auch das Orchester unter der sensiblen Leitung von Erina Yashima, die seit 2022 Erste Kapellmeisterin am Haus ist. Elisabeth Wrede leiht mit zwischen Klagelied und flammendem Trotz changierendem Mezzo der Ophelia eine Stimme in vier Liedern, die Prokofjew in seine Bühnenmusik eingebaut hat. 

Dennoch mag sich ein wirklicher musikalischer Flow nicht einstellen, was natürlich an den ständigen Pausen zwischen den Stücken liegt. Wir haben es ja immer nur mit kurzen Szenen zu tun, die ohne den Film oder die Inszenierung, für die sie geschrieben wurden, erstmal unverständlich bleiben müssen – auch wenn man bei dieser extrem plastischen Musik auch vieles erahnen kann. Nach der Pause, bei Edward Elgars sinfonischer „Falstaff“-Studie, wird das besser: Ein kompaktes Werk, bei dem die Szenen zügig und pausenlos aufeinanderfolgen. 

Der Mut der Komischen Oper aber wird an diesem Abend nicht belohnt: Nur spärlich besetzt ist der geliebte Saal, von dem das Publikum bald wegen Sanierung für mehrere Jahre Abschied nehmen muss. Liegt es am ersten leidlich warmen Tag des Jahres oder an der Unbekanntheit der Werke? Eigentlich wäre das sehr berlinuntypisch. Das hiesige Publikum ist für seine Neugierde bekannt.