Die Shedhalle in Zürich: Dazwischen am See
Die Shedhalle, am Ufer des Zürichsees gelegen, bekam nur wenige Monate vor dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie eine neue künstlerische Leitung: Phila Bergmann und Thea Reifler. Kunst war in der Sinnkrise, die schon vor Corona begonnen hat und noch immer andauert. Die Frage: Wie können Institutionen noch Modelle für die Zukunft bieten, wenn der Kanon an allen Ecken bröckelt? Die Shedhalle, ein kleines Kunsthaus, hat sich als resilient erwiesen.
Die Leiter*innen stellten Begriffe wie Prozess und Protozone ins Zentrum, was irgendwie an Science-Fiction-Welten denken lässt oder an Laboratorien für ein neues Zusammenleben. „Die Shedhalle ist ein Verb, kein Substantiv,“ sagt die Performance-Künstlerin Isabel Lewis, die oft mit dem Haus kooperiert.
Das beschreibt den Anspruch ganz gut: Die Institution soll sich den Bedürfnissen von Künstler*innen anpassen. Die letzte Protozone, Nummer 8, hieß „Queer Trust“, und der Titel, so sagen die beiden neuen künstlerischen Leiter*innen, Phila Bergmann und Thea Reifler, beschreibe auch eine Haltung zum Ausstellungmachen. Sie soll verletzlich und mutig sein. Protozonen, das sind Präsentationen, bei denen Werke ausgehandelt werden, die Platz für Performances lassen und die als Gruppenschauen funktionieren.
Das galt für die letzte Protozone, in der beispielsweise Tarek Lakhrissis Arbeit „A horn is a thorn is a horn“ zu sehen war, wohl eine Anspielung auf Gertrude Steins Gedicht „Sacred Emily“ von 1913: Es hingen Dornen von der Decke, brutal und mit Widerhaken bewehrt, außerdem Gedichte auf transparentem Plastik, mit Versen wie „I was about to see visions / of gay / Arab brothers“, als gälte es nun, auf Steins nüchternen Abgesang für eine alte Metapher in einer leibhaften, erotischen und vor allem queeren Sprache zu antworten.
Der Begriff Queerness wird im Kulturbereich viel verwendet, oft als identitätspolitische Kategorie, manchmal als analytisches Tool, um binäre Geschlechternormen zu untersuchen. Dabei geht es auch um Wandelbarkeit und das Dazwischen.
Zwischen Werk, Künstler*in und Institution entstehen in der Shedhalle Wechselwirkungen. Beispielsweise wenn sich Terre Thaemlitz, die als Musikerin den queeren Wurzeln von House-Musik nachgeht und in essayistischen Videos Themen wie Katholizismus untersucht, sich dem Thema Intersexualität widmet.
Thaemlitz’ kritischer Blick auf bloß identitätspolitische Neuordnungen von Geschlecht passt gut zur Vielzahl an Stimmen in der Shedhalle, wo das Dazwischen auch für die Ausstellungsräume gilt. Wandelbares Licht leitet die Aufmerksamkeit der Besucher*innen von einem Werk zum nächsten, als würde man sanft von Insel zu Insel geführt. Theaterscheinwerfer beleuchten die Videos und Objekte.
Die neunte, kommende Protozone heißt „Weak.End.Opera“. Während in den vorherigen Ausstellungen die Arbeit vieler Künstler*innen präsentiert wurde, konzentriert sich diese Protozone auf drei Positionen. Und sie setzt sich unter anderem mit Oper auseinander, einer Gattung, die eng mit der Geschichte der Shedhalle verknüpft ist.
Die Shedhalle gibt es seit 1984, ihre Existenz verdankt sie den Unruhen um die Zürcher Oper, als junge Menschen angesichts der teuren Renovierung des Hauses die Schaffung von kulturellen Zentren forderten. Irgendwann gab die Stadt nach und stellte das Industriegelände am Zürichsee zur Verfügung. Aus einem einstigen Kulissenlager der Oper wurde der Kunstraum.
Seit Reifler und Bergmann die künstlerische Leitung übernommen haben, sind die Ausstellungen ständig im Werden begriffen. Das passt, denn sie kommen aus der Welt des Theaters und der Performance. Ihre Praxis erinnert an die Arbeit mit einem Theaterensemble. Oft werden Künstler*innen mehrmals eingeladen, selten sind die Werke schon fertig. Aber dafür entwickeln sich lange, vertraute Arbeitsbeziehungen.
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