Sommerspiele in Paris: Nach Tokio-Eklat: Fünfkämpferin Zillekens zurück bei Olympia
Malerisch liegt die olympische Reitanlage in den Gärten von Schloss Versailles des Sonnenkönigs Ludwig XIV. Ein Schattenmoment der Sommerspiele wird aber gerade dort wieder in den Fokus rücken, wenn im Modernen Fünfkampf um Medaillen geschwommen, gelaufen, geschossen, gefochten und vor allem geritten wird.
Eine deutsche Athletin will dann mit einem dunklen Teil ihrer Sport-Vergangenheit abschließen, der sie vor drei Jahren unfreiwillig bekannt machte und dem Fünfkampf eine gravierende Änderung bescherte.
Bei den Sommerspielen 2021 in Tokio war Annika Zillekens – die damals noch Schleu hieß – auf Gold-Kurs. Dann wurde ihr ein Pferd zugelost, das mit der Situation sichtlich überfordert war und sich mehrmals vor den Hindernissen verweigerte. Verzweifelt und unter Tränen schlug Zillekens das Tier mit der Gerte, wozu sie auch Bundestrainerin Kim Raisner lautstark aufforderte.
Letzter Ritt auf prächtigster Bühne
Die Bilder von dem Vorfall gingen um die Welt. Vor allem Tierschützer reagierten empört. Zillekens und Raisner wurden wegen Tierquälerei angezeigt; die Verfahren wurden später eingestellt. Der Weltverband – der ohnehin schon seit langem um den Verbleib bei Olympia kämpfen musste – reagierte und beschloss, das Reiten nach 2024 aus dem Programm zu nehmen und es für Los Angeles 2028 durch einen Hindernis-Parkour zu ersetzen.
Auf der bislang prächtigsten Bühne stehen die Fünfkämpfer und Fünfkämpferinnen also vor ihrem letzten Ritt – und Zillekens ist am meisten im Rampenlicht. „Ob ich es möchte oder nicht, ich werde mich doppelt beobachtet fühlen. Die mentale Herausforderung wird schon extrem sein“, erzählte die 34-Jährige der „Welt am Sonntag“. Seit Tokio arbeitet sie intensiv mit einer Sportpsychologin zusammen; die beiden wollen sich gerade jetzt in Paris auf jedes Szenario vorbereiten, das Zillekens unter den Augen der großen Olympia-Öffentlichkeit blüht.
Bei ihrem ersten Auftritt, der Platzierungsrunde im Fechte in einer Halle nördlich von Paris, habe sie noch nicht an Tokio denken müssen, erzählte Zillekens der Deutschen Presse-Agentur. „Wie es dann wirklich unter dem absoluten Druck aussieht, wenn ich zum olympischen Reiten komme, das weiß ich nicht. Aber ich fühle mich gut gewappnet.“ Sie sei generell „total froh“, dass es wieder um den Sport gehe.
Zillekens zu Hass nach Tokio: „War fast schizophren“
Dass sie sich dem Trubel überhaupt noch mal aussetzt, mag verwunderlich wirken. „Ich möchte einen versöhnlichen Abschluss mit den Olympischen Spielen“, erklärte sie. Von Versöhnung konnte in den Tagen und Wochen nach Tokio keine Rede sein. Zillekens war damals gerade vom Pferd gestiegen, da gingen schon Hasskommentare über ihre Smartwatch ein. Und es wurde schlimmer – die Berlinerin bekam sogar Morddrohungen.
„Mich hat das unglaublich mitgenommen, teilweise war ich auf der Straße fast schizophren und hatte Angst, dass jemand mich anspricht oder verfolgt – was aber nicht passiert ist“, erzählte sie dem „Stern“. Den Grad an Hass im Netz hatte sie sich vorher nicht ausmalen können – irgendwann meldete sie sich aus den sozialen Netzwerken ab.
„Wurden zu Pferdeschlächtern gemacht“
Bundestrainerin Raisner litt mit ihrem Schützling. Die Funktionärin legt Wert darauf, die Momente von damals einzuordnen. „Es wurden Sachen aus dem Zusammenhang gerissen und wir wurden zu Pferdeschlächtern gemacht“, haderte sie im Gespräch mit „Münchner Merkur/tz“.
Sie hatte in jenen Sekunden in Tokio auch mit der Hand auf das Pferd geschlagen, was nicht korrekt gewesen sei. Aber das Tier habe dies gar nicht gemerkt. „Die Leute sollen einfach mal in die Reitschulen gehen, da passieren noch viel schlimmere Sachen. Da ist das, was in Tokio passiert ist, gar nichts dagegen.“ Dass das Pferd von der Athletin vor Zillekens „kaputtgeritten“ worden sei, darauf habe niemand geschaut, unterstrich Raisner.
Nun also sind Zillekens – und Raisner – wieder bei Olympia. Die Trainerin schaute am Mittwoch bereits genau hin, als den Teams auf der Anlage in Versailles die Pferde präsentiert wurden. Die Hürden sind nach den Tokio-Erlebnissen etwas niedriger angebracht und die Athletinnen und Athleten hoffen, dass alle Tiere mit der Situation umgehen können.
In der Fünfkampf-Szene sei die deutsche Sportlerin nach einer kurzen Babypause – sie brachte im August 2022 Tochter Frieda zur Welt – übrigens herzlich aufgenommen worden. „Ich darf Ihnen sagen, wir alle sind ja sehr traurig darüber, wie sie belastet wurde“, berichtete der deutsche Weltverbands-Chef Klaus Schormann der dpa. „Wir wünschen ihr wirklich alles erdenklich Gute. Es ist schön zu hören, dass viele Athleten die Daumen für Annika drücken.“
Versöhnlicher Abschluss am Sonntag?
Zillekens bestritt ebenso wie Rebecca Langrehr, Marvin Dogue und Fabian Liebig zum Auftakt die erste Fecht-Runde in einer schmucklosen Messehalle im Norden von Paris. Alle vier erzielten eher mäßige Ergebnisse, die Medaillenränge sind nur noch schwer zu erreichen. Der erste Ritt in der großen Arena von Versailles steht für sie am Samstag an, das Finale dann am Sonntag. Dann will Zillekens mit Olympia ihren Frieden machen.
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