Neue Staffel von „Interview with the Vampire“: Blutsauger im Zweiten Weltkrieg
Als vor rund anderthalb Jahren die Serie „Interview with the Vampire“ an den Start ging, war Skepsis angebracht. Weder die Romanvorlage von Anne Rice noch die 90er Jahre-Verfilmung mit Tom Cruise und Brad Pitt gelten – aller nostalgischer Kult-Verklärung zum Trotz – ernsthaft als zeitlose Klassiker.
Und das Genre der Vampir-Geschichten schien mindestens im Serien-Bereich nach „Vampire Diaries“, „True Blood“, „The Strain“ und „What We Do in the Shadows“ auch eher abgegrast. Doch dann war die Überraschung groß, erwies sich doch die neue Serienadaption als unerwartet gelungen, thematisch vielschichtig und vor allem unverschämt sexy.
Die zweite, dank der letztjährigen Hollywood-Streiks ein wenig verzögerte Staffel setzt nun genau dort an, wo die erste aufgehört hat. Noch immer sitzt Louis de Pointe du Lac (Jacob Anderson) in Dubai mit dem Journalisten Daniel Molloy (Eric Bogosian) zusammen und erzählt seine Lebensgeschichte. Denn erstens soll die Welt endlich die Wahrheit über die Existenz der Vampire erfahren, und zweitens scheint nach rund 150 Jahren Dasein auf Erden Louis‘ Bedürfnis nach der einen oder anderen Therapiesitzung einigermaßen groß zu sein.
Inzwischen hat sein noch viel mächtigerer Lebensgefährte Armand (Assad Zaman) an seiner Seite Platz genommen, und gemeinsam berichten die beiden davon, wie es weiterging, nachdem Louis und seine junge Gefährtin Claudia (dieses Mal gespielt von Delainey Hayles) seine große, aber toxische Liebe Lestat de Lioncourt (Sam Reid) – mutmaßlich erfolgreich – aus dem Weg geräumt haben.
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Auf der Suche nach anderen Vampiren verschlägt es Louis und Claudia nach Osteuropa, in die Unruhen des Zweiten Weltkriegs, und nach dessen Ende schließlich nach Paris. Dort zeigt sich bald, dass die beiden nicht nur nicht alleine sind, sondern sogar ganze Rudel von Blutsaugern existieren. So wie im „Theatre de Vampires“ von Armand, wo sich Anna auf Anhieb zuhause fühlt. Doch Louis hadert, trotz der auf Anhieb spürbaren Anziehung zu Armand, noch immer mit den blutigen Realitäten des Vampir-Daseins.
So nahtlos die neuen sieben Folgen (zu deren Regisseur*innen erneut der schwule Filmemacher Levan Akin gehört, dessen wunderbarer neuer Film „Crossing – Auf der Suche nach Tekla“ am 18. Juli in die deutschen Kinos kommt) an die vorherigen anschließen, so groß sind doch auch die Unterschiede. Das fängt schon mit der Plattform an, auf der „Interview with the Vampire“ zu sehen ist: in Deutschland läuft die neue Staffel nämlich nicht mehr bei Sky, sondern bei MagentaTV.
Dass obendrein die Rolle der 14-jährigen Claudia umbesetzt wurde, worauf eine Einblendung gleich zu Beginn dezidiert hinweist, funktioniert erstaunlich reibungslos. Die ursprüngliche Darstellerin Bailey Bass musste aus Zeitgründen absagen und stattdessen für James Camerons nächsten „Avatar“-Film vor der Kamera stehen. Doch Ersatz-Kollegin Hayles macht ihre Sache ganz hervorragend und passt auch deswegen gut, weil Claudia in Europa längst jeder Naivität und Hoffnung beraubt ohnehin nicht mehr die gleiche ist.
Dass Lestat mindestens zu Beginn der zweiten Staffel nur noch ganz selten (nämlich in Louis‘ Gedankenwelt oder Rückblenden) vorkommt und somit seine unbeständig-aufbrausende Energie und Leidenschaft fehlen, wirkt zunächst wie ein Verlust. Doch rund um den abermals enorm charismatischen Anderson entwickeln sich schnell auch andere interessante Dynamiken, allen voran natürlich mit Zaman, dessen enigmatisch-selbstsichere Aura kaum gegensätzlicher sein könnte.
Psychologisches Kräftemessen
Auch was die (Langzeit-)Beziehung der beiden angeht, setzt „Interview with the Vampire“ dieses Mal einen anderen Fokus: Es geht nicht mehr so sehr um Sex und Begierden, sondern – zumal in den Gegenwartsszenen – um die Rollenverteilung, psychologisches Kräftemessen und das Wahren eines makellosen Scheins.
Natürlich ist die von Rolin Jones verantwortete Serie weiterhin eine aufwändig umgesetzte Grusel-Seifenoper, die weder Pathos noch die eine oder andere Untiefe in den Dialogen scheut und erfreulicherweise – nicht zuletzt im Kontext des Vampir-Varieté – auch wieder Raum für Humor lässt.
Fokus erweitert
Was dieses Mal ein wenig fehlt, ist der spannende thematische Unterbau. Durch die Verlagerung vom Jahrhundertwende-New Orleans nach Paris werden Rassismus und das lange nachwirkende Trauma der Sklaverei kaum noch verhandelt, und auch Homophobie ist, trotz der weiterhin sehr präsenten Queerness der Serie, als Konfliktstoff weniger präsent. Während in Europa die Wunden des Krieges vernarben müssen und Louis und Claudia mit ihrer ganz eigenen Vergangenheits- (und Gegenwarts-)Bewältigung ringen, bleibt dafür einfach kein Platz mehr.
Solche Einwände sind allerdings Jammern auf hohem Niveau. Auch der zweite Teil von „Interview with the Vampire“ ist noch immer ein großer Schauer-Spaß, der einen schnell in den Bann zieht und nicht wieder loslässt. Dass die Serie weniger kammerspielartig daherkommt als in der ersten Staffel und insgesamt ihren Fokus erweitert, bekommt ihr gut –und bietet Raum für sehenswerte Nebendarsteller*innen wie Roxane Duran oder Ben Daniels.
Das Spiel mit der Deutungshoheit über die Erinnerungen erweist sich als ein reizvolles – und auch dass Molloy weiterhin seinen ganz eigenen Platz in dieser Vampir-Chronik zu finden versucht, bleibt spannend. Gegen eine dritte Staffel wäre also rein gar nichts einzuwenden.