Kent Nagano über Schlüsselmomente seines Dirigentenlebens
Nur 15 Sekunden blieben Kent Nagano, um Ja zu sagen. Ausgerechnet Frank Zappa brachte den jungen US-Dirigenten Anfang der Achtziger dazu, sich ins kalte Wasser zu stürzen. Zappa hatte soeben das London Symphony Orchestra engagiert, um selbstkomponierte klassische Stücke aufzunehmen.
Nagano war unsicher, ob dieses Projekt seiner Karriere dienen würde, und bat um Bedenkzeit. Zappa verlangte jedoch sofort eine Antwort. „Mit dem Gefühl tiefer Beschämung ließ er mich zurück“, erinnert sich Nagano heute: Künstler, die ein ernsthaftes Anliegen hätten, dürfe man nicht hinhalten.
In seinem mit der Journalistin Inge Kloepfer verfassten Buch „10 Lessons of my Life“ blickt Nagano, in Berlin bekannt aus seiner Zeit als Chefdirigent des Deutschen Symphonie-Orchesters, heute Generalmusikdirektor der Staatsoper Hamburg, auf Begegnungen mit Menschen zurück, die ihn geprägt haben.
Dazu zählen nicht nur Größen der Klassikwelt wie Leonard Bernstein oder die Komponisten Olivier Messiaen und Pierre Boulez. Überhaupt geht es in diesem Buch weniger um die bedeutenden Stationen seiner Laufbahn, im Fokus stehen vielmehr die großen und kleinen Lebenslektionen.
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Dass Dirigieren nicht viel mit Glamour zu tun hat, vermittelte ihm Sarah Caldwell. Als junger Assistent ihrer Bostoner Opernkompanie wurde er oft mitten in der Nacht aus dem Bett geklingelt. Caldwell, die 1976 als erste Frau an der New Yorker Met dirigierte, ging mit anderen ebenso hart um wie mit sich selbst. Eine weitere starke Frau – die mit Messiaen verheiratete Pianistin Yvonne Loriod – machte ihm bewusst, dass erst die perfekte Beherrschung des Notentextes interpretatorische Freiheiten möglich macht.
[Kent Nagano, Inge Kloepfer: 10 Lessons of my Life. Was wirklich zählt. Berlin Verlag 2021, 208 Seiten, 22 €]
Der Korrepetitor Richard Trimborn, der in München etwa mit Carlos Kleiber oder Wolfgang Sawallisch arbeitete, war für Nagano ein Musterbeispiel für künstlerische Unbestechlichkeit und Integrität. Von seinem charismatischen Lehrer Leonard Bernstein lernte er, dass man sich nie mit dem zufriedengeben sollte, was bereits feststeht. Sätze wie „Das wird immer so gespielt“ ließ er nicht gelten.
Seine Neugier führte Nagano auch zum isländischen Popstar Björk. Nachdem er ihre Stimme zufällig in einem MTV-Video gehört hatte, engagierte er sie für den Sprechpart in Arnold Schönbergs „Pierrot Lunaire“. Ihr gemeinsamer Auftritt beim Verbier Festival 1996 wurde ein Erfolg, auch zahlreiche Pop-Fans pilgerten in das Schweizer Bergdorf. Der Dirigent war fasziniert von Björks Authentizität. Er erkannte: Das Wichtigste ist nicht die von klassischen Interpreten angestrebte Perfektion. Sondern das, was jemand mit seiner Kunst zu sagen hat.