Geld und Kompromisse: Das verlogene Spiel rund um Katar
Ab Sonntag klemmen wir uns die Fähnchen ans Auto, laden die Freunde zum Fußball schauen ein und werfen den Grill an. Deutschland einig Fußballschland, die Weltmeisterschaft kommt, das nächste Sommermärchen kann beginnen?
Stopp. Nein, es ist gefühlt schon Winter in Deutschland und leider findet das Turnier in einer absoluten Monarchie statt, die andere Maßstäbe für das Zusammenleben von Menschen anwendet, als das deutsche Grundgesetz. Also haben wir, die aus der Ferne Zuschauenden, ein Problem mit Katar.
Am Sonntag beginnt eine WM, die allen internationalen Protesten Stand gehalten hat. Die WM, die sich nicht verhindern ließ und die im Kern auch letztlich nicht verhindert werden konnte, weil ihre Absage auch das Funktionieren unseres Lebensmodells in Frage gestellt hätte – wo Wohlstand und Ethik öfter im Widerspruch stehen.
Viele von uns sind zerrissen, wenn es um Katar geht. Hinschauen bei den Spielen oder wegschauen? Wir sollten ganz genau hinschauen, abseits der Spiele. Katar hält uns den Spiegel vor. Unser Wohlstand stützt sich zu großen Teilen auch auf Unrecht. Wir schauen weg, wenn unsere Kleidung in sklavenähnlicher Arbeit in Bangladesch produziert wird. Aber jetzt müssen wir hinschauen. Wir können nicht wegschauen, wenn wir gern die Emotionen rund um den Fußball leben wollen und da liegt unser Problem.
Nicht ein Team, nicht mal ein einziger Spieler boykottiert das Turnier
Wir könnten jetzt vier Wochen lang keine Coca-Cola trinken oder keine Visa-Karte benutzen. Aber damit wird diesen Großsponsoren des Turniers kaum geschadet. Nicht ein Team, nicht mal ein einziger Spieler in der Welt wollte und wird dieses Turnier in Katar boykottieren.
Das ist nicht erstaunlich, denn wer es im Profigeschäft Männerfußball so weit nach oben gebracht hat, der hat schon früh seine Seele verkaufen müssen – an Spielervermittler, an den unbedingten kompromisslosen Willen, Erfolg zu haben. Die Profis sind Unternehmen, da hängen viele dran, die können nicht abspringen selbst vor so einer WM. Daran hindern sie schon ihre Verträge.
Aber auch das ist, wie immer im Leben, nicht die ganze Wahrheit. Es gibt auch kleine Nationen, die mitspielen. Menschen, die sich mit der Teilnahme bei einer WM ihren Lebenstraum erfüllen, den Höhepunkt ihrer beruflichen Laufbahn erreichen. Warum dürfen Fußballer nicht auch mit Widersprüchen ihren Beruf ausüben, so wie das andere auch machen, die auf dem Bürostuhl sitzen und auf ihren Computer Made in China starren. Auch abseits des Fußballs ordnen viele Menschen vieles ihrer Karriere unter, drücken Ungerechtigkeiten weg aus ihrem Bewusstsein oder nehmen sie auf dem Weg nach oben in Kauf.
Bevor wir frieren, nehmen wir das Gas zur Not auch aus Katar
Katar ist für uns auch eine Chance, diese Widersprüche und Ungerechtigkeiten in unserem Leben klarer zu definieren. Und es ist natürlich die Möglichkeit in den Diskurs zu treten, damit sich zumindest vielleicht Nuancen ändern könnten. Bis sich Frauen und queere Menschen dort frei bewegen können, wird es womöglich noch Jahrzehnte dauern. Aber immerhin ist Gleichberechtigung am Golf nun schon ein Thema.
Es könnte sich mit dieser Weltmeisterschaft tatsächlich etwas ändern. Es wird spannend werden, wie die Spieler, wie alle Beteiligten mit der Situation umgehen werden. Vergessen sie das große Thema oder behalten sie es im Kopf? Vom Anpfiff bis zum Abpfiff ist 90 Minuten lang Fußball angesagt für die Profis, für die Zuschauenden im Stadion nicht unbedingt, dann kann es selbst in Katar Proteste geben.
Die WM ist ein Spiel um Geld und Kompromisse. Bevor wir frieren, nehmen wir das Gas zur Not auch aus Katar. Robert Habeck war schließlich auch schon auf Einkaufstour dort, wenn auch ohne Vollzug. Wir sollten während des Turniers weiter über Menschenrechte sprechen und schreien, wir dürfen uns trotzdem 90 Minuten Fußball anschauen, wir müssen es aber nicht. Und die Fähnchen lassen wir lieber mal im Schrank bei dieser Weltmeisterschaft.
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