Die Straße ist das Leben
Der Countdown läuft. Nur noch 300, 200, 150, 30, zehn Tage bis zur nächsten „Paris Photo“. Die weltgrößte Messe für Fotografie dient in Gen Iwamas dynamisch geschnittenem Dokumentarfilm als dramaturgische Klammer. Man könnte seine Hommage an den einflussreichen japanischen Fotografen Daido Moriyama mit dem sibyllinischen Untertitel „The Past ist always new, the Future is always nostalgic“ auch als dokumentierte Herstellung eines Bildbandes beschreiben.
Vom Fällen der zur Herstellung des Druckpapiers nötigen Bäume in einem verschneiten Wald über deren Verarbeitung in der Papierfabrik und der Auswahl des richtigen Papiers bis zum Ärger um den Andruck, dem die enthusiastischen Verleger im höflichen Gespräch mit dem ratlosen Drucker Ausdruck verleihen.
Raue Impressionen von Tokyo
„Japan, A Photo Theater“ heißt das vergriffene Fotobuch, dessen Erscheinen vor 50 Jahren Daido Moriyamas Ruhm als freier Radikaler der Fotografie begründet. Grobkörnig, unscharf, verschwommen – so fallen seine rauen, schwarzweißen Impressionen des Tokyoter Lebens aus. Für die Rekonstruktion holen die Verleger den 81 Jahre alten Künstler mit an Bord, der lakonische Antworten auf die Fragen nach dem Wie, Wann und Warum seiner Arbeit gibt.
Dass der Jack-Kerouac-Fan es unverbrüchlich mit dessen Credo „Die Straße ist das Leben“ hält, sieht man in den Szenen, in denen die Kamera dem zierlichen Fotografen in Jeans und T-Shirt durch Tokyo folgt. In dieses viel zu häufig wiederholte Flaneurmotiv montiert Gen Iwama, der Regisseur, Editor und Kameramann in Personalunion ist, Moriyamas Fotografien.
Unterlegt von mal dramatisch perkussiver, mal melancholischer Streichermusik entsteht so ein Werküberblick von den sechziger Jahren bis in die Gegenwart. Das ist gut gemacht. Trotzdem bleibt Moriyamas künstlerische Prägung in den Interviewpassagen unterbelichtet.
[Im Filmkunst 66 und bware!Ladenkino, jeweils OmU]
Der Mann ist Straßenfotograf, kein Selbsterklärer, was die ein ums andere Mal bei Signierstunden ins Bild gebannte Verehrung junger Fans noch plausibler macht. Er habe sich darauf besonnen, dass die Fotografie Licht und Schatten sei und nichts sonst, stellt er am Ende einer durch fruchtloses Grübeln ausgelösten Schaffenskrise Ende der Siebziger fest.
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Dass Moriyamas digitale Schnappschüsse von heute es nicht mit der Aura des analogen Frühwerks aufnehmen können, weiß er selber. „Ich habe einen radikalen Schnitt gemacht“, sagt er ohne Bedauern. Nostalgie ist nicht sein Ding. Ebenso wenig wie die Mystifizierung seiner Kunst.
„Kameras sind bloß Kopiergeräte, einfach abzudrücken ist alles“, sagt er und knipst aus dem Handgelenk Werbetafeln, Menschen, Fassaden, Gassen. Er ist kein feinnerviger Bilderkomponist, sondern Wirklichkeits-Abschießer.
Merkwürdig bleibt der Kontrast zwischen dem geerdeten, kein bisschen Privatleben preisgebenden Auftreten von Daido Moriyama und dem allzu hingebungsvollen, in den Zwischentiteln ständig Superlative beschwörenden Ton des ihm gewidmeten Films.