Reinhard Kleist zeichnet David Bowie: Mit dem Rad durch West-Berlin

Der Amerikaner hat kein Geld, aber ständig Hunger. Also futtert er den Kühlschrank seines britischen Mitbewohners leer, was immer wieder zu kleinen Streitereien zwischen den beiden führt.

Ganz ähnlich dürfte es in zahlreichen anderen West-Berliner WGs Mitte der Siebziger zugegangen sein, sonst ist allerdings wenig gewöhnlich in dieser großen Altbauwohnung, heißen die Mitbewohner doch Iggy Pop und David Bowie.

Die Rockstar-WG in der Schöneberger Hauptstraße gehört zu den zentralen Schauplätzen von Reinhard Kleists Graphic Novel „Low. David Bowie’s Berlin Years“, die eine gut dokumentierte und gerade in der Hauptstadt immer wieder gefeierte Periode aus dem Leben des Musikers nachzeichnet. Umso erstaunlicher, dass der Band trotzdem fesselt und überrascht.

Denn Reinhard Kleist spielt ständig mit der Größe seiner Panels, springt durch die Zeiten und packt unzählige Details in die Handlung, was „Low“ eine ungemeine Dynamik und Lebendigkeit verleiht.

Benannt nach Bowies erstem in West-Berlin aufgenommenen Album führt der Band natürlich auch ins Hansa Studio direkt an der Mauer, wo Bowie mit Brian Eno zu einem experimentelleren Sound fand. Einen neuen Harmonizer, der dabei zum Einsatz kam, setzt Kleist groß ins Bild.

Vom folgenden, ebenfalls 1977 veröffentlichten Album „Heroes“ wird lediglich die Entstehungsgeschichte des Titelstücks und die Coveridee skizziert.

Stärker interessiert sich Kleist ohnehin für Bowies häufig per Fahrrad stattfindende Stadterkundungen sowie seine Faszination für die deutsche Kultur der Vergangenheit und Gegenwart. Was etwa zum Kauf von Krautrock-Alben beim legendären City Music-Plattenladen am Kurfürstendamm führt. Selbst Bowies in „Low“ liebevoll gewürdigte Beziehung zu Romy Haag scheint stark von seinem Zwanziger-Jahre-Faible inspiriert zu sein.

In West-Berlin kann David Bowie unbehelligt durch die Stadt spazieren. Niemand erkennt den Star.

© Reinhard Kleist/Carlsen Verlag

„Low“ ist der zweite und abschließende Band von Kleists „Davie Bowie Years“. Wie beim Vorgänger „Starman. Ziggy Stardust Years“ hat der Zeichner, der seine Biografien über Johnny Cash und Nick Cave in Schwarz-Weiß zu Papier gebracht hatte, wieder mit dem Koloristen Thomas Gilke zusammengearbeitet. Ihr West-Berlin ist mit kräftigen Gelb- und Rotakzenten farbenfroher als es dem Klischeebild der Mauerstadt entspricht. Die Rückblenden in Bowies Zeit in Los Angeles sind hingegen monochrom, meist beige gehalten.

Weg vom Kokain

Als seltene Lichtblicke dieser Epoche zeichnet Kleist die Aufnahmen zu Bowies Hits „Young Americans“ und seine Freundschaft zu John Lennon, ansonsten sieht er den Star vor allem durch seine Kokainsucht in einer fatalen Spirale. Mit Iggy Pop, der ebenfalls ein Drogenproblem hat, geht er nach West-Berlin, um clean zu werden. Für Einheimische zwar eine absurde Idee, doch sie funktioniert. Wobei Bowie dem Freund sogar zu einem Comeback verhilft.

„Berlin hat mich verändert. Es hat mich geerdet“, lässt Kleist Bowie einmal sagen. Diese Erdung interpretiert der Zeichner, der den Star seit seiner Jugend verehrt, auch als dessen endgültige Überwindung der Kunstfigur Ziggy Stardust. Im „Starman“-Band hatte der Musiker sich mit ihr hitzige Spiegelgefechte geliefert, jetzt ist er frei.

Ein Comeback hat zudem der Major-Tom-Bowie, der geradewegs in das „Low“-Finale fliegt. Es arbeitet mit Anspielungen an „2001“, „Alien“ und die „Blackstar“-Videos – und löst das Rätsel der Erzählstimme. Brillant.