Es gab solche und solche
Rainer Widmayer saß zu Hause in Stuttgart beim Essen, als das Telefon klingelte. Sein Vater feierte Geburtstag, aber wenn der Chef etwas will, muss man natürlich rangehen. Michael Preetz, der Manager von Hertha BSC, rief an, um Widmayer mitzuteilen, dass Trainer Markus Babbel entlassen sei, er hingegen nicht. Und er möge doch bitte am nächsten Tag zurück nach Berlin kommen, dann bespreche man alles Weitere.
Das Weitere war dann: Widmayer sollte für das letzte Spiel des Jahres 2011 nur drei Tage später vom Co- zum Cheftrainer aufsteigen. „Normalerweise mach’ ich so was nicht“, erzählt er knapp zehn Jahre später am Telefon. Zum einen aus Loyalität zu seinem bisherigen Vorgesetzten Markus Babbel. Zum anderen, weil er sich als Teil des Trainerteams natürlich ebenfalls für den Zustand der Mannschaft verantwortlich fühlte.
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Aber damals gab es weniger ein sportliches Problem als ein zwischenmenschliches zwischen Trainer Babbel und Manager Preetz. „Die Kabine hatte ich hinter mir“, sagt Widmayer. Und auch Babbel gab sein Okay, als Widmayer ihn anrief. „Der hat sofort gesagt: Super!“
Und so saß er am Tag vor dem Spiel bei einer inzwischen legendären Pressekonferenz, plauderte offen, ehrlich und in breitestem Schwäbisch über das anstehende Achtelfinale im DFB-Pokal gegen Kaiserslautern, gewann tags darauf 3:1 – und verabschiedete sich anschließend von Hertha. Als Co-Trainer von Babbels Nachfolger Michael Skibbe wollte er nicht bleiben.
Karsten Heine, der Godfather der Interimstrainer
Widmayer war einer von insgesamt sechs Trainern, die seit Herthas Aufstieg in die Bundesliga vor knapp einem Vierteljahrhundert, interimsweise eingesprungen sind. In dieser Woche nun hat Fredi Bobic den siebten präsentiert – auch wenn Herthas Sportgeschäftsführer das offiziell nicht so gesagt hat. Eine Weiterbeschäftigung von Tayfun Korkut, dessen Vertrag bis zum Saisonende läuft, hat Bobic explizit nicht ausgeschlossen.
In Wirklichkeit aber wird es nach allem, was man hört und weiß, für Korkut nur darum gehen, die komplizierte Spielzeit halbwegs komplikationslos zu Ende zu bringen. Über mögliche Nachfolger im Sommer wird längst spekuliert. Und es müsste schon einiges passieren, dass Korkut sich nicht einreiht unter die Männer, die nur für den Übergang bei Hertha eingesprungen sind.
Eine Ausnahme ist er zumindest insofern, als er Herthas einziger Interimstrainer der vergangenen 25 Jahre ist, der von außen kommt. Hans Meyer ist ein Sonderfall. Er hätte nach Herthas Vorstellung gerne länger bleiben dürfen, wollte das aber nicht. Korkuts sechs Vorgänger – Falko Götz (2002), Andreas Thom (2003), Karsten Heine (2007 und 2009), Widmayer (2011), René Tretschok (2012) und Alexander Nouri (2020) – waren bereits für den Verein tätig, als sie kommissarisch zum Chef der Profis befördert wurden.
Dabei gab es solche und solche. Und natürlich Karsten Heine, bei Hertha so etwas wie der Godfather der Interimstrainer. Heine, der inzwischen den Berliner Regionalligisten VSG Altglienicke trainiert, ist bei Hertha insgesamt viermal als Trainer der Profis eingesprungen.
Zwischen seinem ersten Engagement am Ende der Saison 1990/91 und seinem letzten im Oktober 2009 für ein Europa-League-Spiel bei Sporting Lissabon lagen fast zwei Jahrzehnte. Heine hat Peter Neururer abgelöst, Uwe Reinders (1994), Falko Götz (2007) und schließlich Lucien Favre. In grauer Vorzeit gab es mit Hans „Gustav“ Eder sogar noch jemanden, der Heine übertroffen hat. Herthas ewiger Co-Trainer (mit Unterbrechungen von 1971 bis 1990) sprang insgesamt fünf Mal als Chef ein, mal für wenige Tage, mal für wenige Wochen.
Das Problem bei Falko Götz: Er war zu erfolgreich
Wie Rainer Widmayer hat auch das Duo René Tretschok/Ante Covic nur ein Spiel (0:1 zu Hause gegen Meister Borussia Dortmund) auf der Bank gesessen. Ebenfalls in der Saison 2011/12, in der Hertha insgesamt fünf Trainer beschäftigte und am Ende trotzdem abgestiegen ist.
Auf die bisher längste Amtszeit als Interimscoach kommt Falko Götz in der Saison 2001/02. Er übernahm die Mannschaft nach einem 0:1 in Cottbus von Jürgen Röber, gewann neun von dreizehn Spielen und führte Hertha noch auf Platz vier. „Falko Götz konnte nur gewinnen. Und er hat gewonnen“, sagte Manager Dieter Hoeneß. Und der Tagesspiegel schrieb: „Unter Götz sah Hertha drei Monate lang so aus, wie Dieter Hoeneß sie am liebsten verkauft: jung, dynamisch und vor allem erfolgreich.“
Nur war das für Hoeneß ein Problem, weil er für die neue Saison schon vor Röbers Entlassung Huub Stevens als Trainer verpflichtet hatte. Stevens, ohnehin mit dem Makel behaftet, vom Erzrivalen Schalke 04 gekommen zu sein, wurde in Berlin nie richtig glücklich. Zwei Jahre später kehrte Falko Götz zurück. Diesmal als richtiger Trainer.