Wenig Risiko, viel Perfektion bei der Schach-WM
Obwohl sich bei der Schach-WM in Dubai der Norweger Magnus Carlsen und der Russe Jan Nepomnjaschtschi im Eins-gegen-Eins vor dem Brett gegenübersitzen, ist das Spiel schon lange kein Einzel-Sport mehr. Hinter den Kulissen bereiten hochkarätige Trainerteams die Spieler Monate lang vor, studieren Eröffnungen, probieren neue, überraschende Züge, um die Schwachstelle des Gegners zu finden. Einem Mitglied dieses Teams kommt dabei eine besonders wichtige Rolle zu: den Computerprogrammen.
Sie geben den Spielern die Möglichkeit, Züge, die selbst für das geschulte Auge unlogisch erscheinen, als spielverändernd zu erkennen und sich auf jeden Angriff mit der bestmöglichen Verteidigung vorzubereiten. Auch deshalb enden WM-Spiele seit längerer Zeit meistens in Remis. Die Spieler sind zu perfekt vorbereitet, Überraschungen gibt es nur selten.
Magnus Carlsen geht als Favorit in diese WM, wird dieser Rolle aber noch nicht gerecht
So war es auch in den bisherigen Spielen zwischen dem seit acht Jahren amtierenden Weltmeister Magnus Carlsen und seinem Herausforderer. Nach fünf gespielten Partien und fünf Remis steht es 2,5 zu 2,5. Keine Seltenheit – auch bei den letzten zwei Weltmeisterschaften stand es nach fünf Aufeinandertreffen unentschieden. 2018 spielte Carlsen jedoch gegen den Zweiten der Weltrangliste, bei dieser nur gegen den Fünften.
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Eigentlich sollte der Norweger damit einen klaren Vorteil haben, doch diesen sah man bis jetzt noch nicht. Im fünften Spiel geriet Carlsen sogar gleich zu Beginn der Partie unter Druck und konnte sich bis zum Ende nicht wirklich befreien. Außerdem hatte er Glück, denn Nepo, wie man den Russen in der Schachwelt nennt, hätte im Mittelspiel durch einen Bauernzug auf der C-Reihe Carlsen in Bedrängnis bringen können. Der Russe verpasste den Zug. Dem Weltmeister merkte man an, dass ihm diese Partie besonders schwergefallen war. Kurzzeitig hatte Nepo eine Stunde mehr Zeit auf der Uhr als Carlsen, der immer wieder in langes Grübeln verfiel.
Dass die beiden Weltklassespieler die WM nicht auf die leichte Schulter nehmen, zeigt sich auch daran, dass man sie nur selten gleichzeitig am Brett sah. Im Schach ist es erlaubt, sich während der Partie in einen privaten Raum zurückzuziehen, um in Ruhe nachzudenken – beide Spieler nutzen diese Möglichkeit ausgiebig.
Ein fast perfektes Spiel – Ergebnis: Remis
Blickt man auf die bisherigen Spiele, merkt man, dass beide Spieler präzise vorbereitet sind; in Spiel drei erreichten beide eine Zuggenauigkeit von über 98 Prozent, ermittelte ein Schachprogramm. Solche perfekten Spiele gehen aber auch meist damit einher, dass Keiner ein Risiko eingeht, indem er Fallen stellt oder neue Varianten ausprobiert.
Lediglich in der zweiten Partie riskierte Carlsen etwas. Er opferte zu Beginn einen Bauern, dann eine Qualität, überzog dann jedoch seine Möglichkeiten und ging mit weniger Material in die Schlussphase. Nepomnjaschtschi konnte diesen Vorteil jedoch nicht ausnutzen und Carlsen ring dem Herausforderer das zweite Remis ab.
In schnellen Partien hätte Carlsen einen Vorteil
Nun besteht die Hoffnung, dass bei den nächsten Partien die Risikobereitschaft steigen wird. Ein Sieg reicht möglicherweise, um als erster 7,5 Punkte zu bekommen und Schachweltmeister zu werden oder zu bleiben. Gehen alle 14 Partien Remis aus, werden schnellere Runden gespielt, statt zwei Stunden Bedenkzeit erst 25 Minuten, dann fünf. Bei diesen schnellen Partien ist Carlsen ein Virtuose, ein weiterer Titel wäre ihm fast sicher.