In den Antiken lauert der Glamour
Die Patina schimmert. Grob klaffen die Wunden der beiden Bronzebüsten, als wären sie in einen prähistorischen Kometenhagel gekommen. Herakles und Roma. Doch siehe da: Aus den Kratern gedeihen goldene Quarzkristalle, sodass man den Blick vom Funkeln kaum abzuwenden vermag.
St. Agnes, die ehemalige Kirche und heutige Galerie von Johann König, wurde in den letzten Jahren ausgiebig bespielt und begafft. Von XXL-Windrädern, die von der Decke baumelten, bis hin zum Tenniscourt mit perlweißen Bällen als kaufbare Fanartikel. Wie lässt sich der hippe Größenwahn erden? Daniel Arsham schafft genau das mit noch mehr Gigantomanie. Der in New Yorker lebende Bildhauer und Multikünstler zeigt seine Werke unter dem Titel „Unearthed“ zum ersten Mal in Berlin.
Im Gepäck hat Arsham dafür etwa ein Dutzend Skulpturen. Männer, Frauen, Göttinnen und Götter aus Antike und Renaissance. Die meisten scheinen wie die beiden Büsten am Eingang schon vor langer Zeit erodiert und von Glassteinen durchwuchert, ihre Substanz besteht zum Teil aus Vulkanasche. Die größte Skulptur, eine kopflose Nike, spreizt die weißen Flügel und beugt sich weg vom Hauptschauplatz. Doch der Wucht entkommt auch sie nicht. Ihr Körper ist mit Platzwunden geschmückt. Dafür griff Arsham nicht etwa zum Presslufthammer, sondern ließ die Gipsschichten durch eine Art Wachs zerfallen. Ähnlich angeschlagen wirken sein Apollo, seine Venus und Caesar.
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Und dann hängen da noch drei Gemälde. Blau, Gelb und Schwarz-Weiß. Sie sind so mächtig, dass sie kaum in ein Loft passen. Auf Instagram ist dokumentiert, wie Arsham mit einem Hubwagen jeden Quadratmeter der Bilder abfährt, um Pinselstrich an Pinselstrich zu setzen. Seine Skulpturen treten auch hier wieder auf. Überdimensioniert und mit Licht beträufelt, sind sie in Grotten platziert, in denen kleine Schattenfiguren umherwandern und die Riesen erklimmen. Steht man nun selbst vor einem dieser Bilder, kommt man sich ruckartig klein und wissbegierig vor. Denn Arsham entführt in eine Welt ohne zeitliche und räumliche Orientierung. Das Zeug, aus dem oft auch richtig gute Graphic Novels gemacht sind.
[König Galerie, Alexandrinenstr. 118-121; bis 24. Oktober, Di–Sa 10–18 Uhr, So 12–18 Uhr]
So ist die Kunst von Daniel Arsham, wie eine Novelle, die neben dem Materialmix auch von ihrer Poetik und Mystik lebt. In der König Galerie ließe sich das gut kuratieren, sagt Arsham selbst. Die hohen Wände wie eine überdicke Raufasertapete oder zubetoniertes Brachland, sie schenken den instabilen Werken den maximalen Raum und gewähren einen minimalen farblichen Kontrast. „Gott sei Dank kein White Cube.“ Das geht einem immer wieder durch den Kopf, wenn man an den bröckelnden Leibern vorbei durch die ehemalige Kirche schreitet.
Arshams Werke fühlen sich in etwa an, als würde man mit einem rostigen Neunzigerjahre-Porsche zum Mars schweben. Retrofuturismus in einer Zeit, in der man eigentlich weder zurück noch nach vorn blicken mag. Tatsächlich zählen außerhalb der Ausstellung neben Pokémon-Skulpturen auch versteinerte Protzautos zu Arshams Kosmos. Solchen Pop hätte man irgendwie gern gesehen, aber das kann ja noch kommen. In der Galerie als Zeitkapsel archiviert, könnten seine Skulpturen vielleicht in Zukunft von unseren Nachfahren ausgegraben werden.
Um einen Fanartikel kommt man im Hause König dann übrigens doch nicht herum. Eine graue Basecap, auf der gestickt „König Arsham” steht, wird verkauft. Und am Abend nach der Ausstellungseröffnung fand ein Dinner statt, organisiert von König, Vogue und La Prairie inmitten der Exponate – als Teil der Berliner Fashion Week. Nichtsdestotrotz schafft es Arsham, dem auf Social Media über eine Million Anhänger folgen, den Marketingtrubel mit authentischer Kunst zu entschleunigen.