Der Metropolis-Komplex
Kinos arbeiten heute weitgehend digital, in der Filmrestaurierung allerdings ist trotz Scanner-Technologie und modernsten Bildbearbeitungsprogrammen noch immer handwerkliches Geschick gefragt. Im Eingangsbereich des Raums für Sonderausstellungen im Museum für Film und Fernsehen empfängt den Besucher ein Monitor, der die praktische Arbeit am analogen Filmmaterial zeigt: das vorsichtige Umrollen am Sichtungstisch, die Reparatur von beschädigten Perforationen, die Prüfung veralteter Klebestellen.
„Frame by Frame“ lautet sinnigerweise der Titel der Ausstellung, die noch bis Anfang Juli am Potsdamer Platz zu sehen ist. Jedem einzelnen Bild wird dieselbe Aufmerksamkeit zuteil. Denn manchmal kann die verlustreiche Überlieferungsgeschichte des Kinos aus einer Filmkopie ein „Original“ machen.
„Die Ausstellung erklärt sich ja von selbst“, meint Martin Koerber kurz zur Begrüßung und blickt schweigend in den Raum. Koerber, seit 2007 der Leiter des Filmarchivs der Deutschen Kinemathek, spricht nur widerwillig über seine Verdienste. In der Filmrestaurierung kämen sehr unterschiedliche Expertisen zusammen, betont er, es sei immer Teamarbeit. Darum sind auf den Bildschirmen auch nur seine Mitarbeiter:innen zu sehen, die ihre Projekte erklären. Selbst Fritz Langs Klassiker „Metropolis“, den Koerber im Auftrag der Murnau Stiftung restaurierte und der in seiner Version 2001 als erster Film ins Weltkulturerbe aufgenommen wurde, wird eher pflichtschuldig im hinteren Bereich der Ausstellung vorgestellt.
Mit „Frame by Frame“ hat Koerber sich gewissermaßen ein Abschiedsgeschenk gemacht. Ende des Monats geht er nach über 35 Jahren an der Kinemathek in den Ruhestand, die Ausstellung wurde wegen der Pandemie mehrfach verschoben; nun ist sie unbeabsichtigt auch eine Art persönliche Bilanz. Denn die Disziplin hat sich in den vergangenen 15 Jahren stark gewandelt. „Mein Team weiß heute viel mehr als ich“, sagt er kokett. Damals wurde die digitale Restaurierung von vielen Kollegen in den Filmarchiven noch als Sakrileg betrachtet, eine Verfälschung der Kinogeschichte. Koerber gehörte zu den ersten, die in der Kunstgeschichte nach Antworten auf die Frage nach einer Restaurierungsethik für den Film suchten – und diese praktisch anwendeten. Seine Arbeit an „Metropolis“ wurde zum Modellfall.
Filme restaurieren als Wissensvermittlung
Schmunzelnd erinnert sich Koerber an seine erste Restaurierung. Zur 750-Jahr-Feier der Stadt Berlin sollte er eine vorführtaugliche Kopie von Fedor Ozeps Tolstoi-Verfilmung „Der lebende Leichnam“ finden. Ihm blieben drei Wochen, um aus Kopien in Archiven in ganz Europa die vollständigste Version zu erstellen. Heute könne so ein Projekt mitunter zwei Jahre dauern, meint Koerber. Damals gab es aber noch keine Referenzen, nur Pioniere wie Enno Patalas, der im Münchner Filmmuseum Stummfilmkopien zusammenbastelte, um sie einem Publikum wieder zugänglich zu machen. Patalas’ Vorarbeit an „Metropolis“ war später auch für Koerbers Restaurierung eine maßgebliche Grundlage.
Heute gibt es unter anderem in New York und Amsterdam Studiengänge für Filmrestaurierung, Koerber musste sich eine Methodik damals noch in Do-It-Yourself-Manier aneignen. Die Arbeit mit dem Filmmaterial entdeckte er Ende der siebziger Jahre als Student der Publizistik in der Abteilung für Veterinärmedizin an der FU. Der Prof hatte ursprünglich Kameramann gelernt und bot interessierten Studierenden extrakurrikular Filmkurse an. Einen frühen Film von Jon Jost montierte Koerber neben den Pferdeställen in Nachtschichten am Schneidetisch. Diese praktische Erfahrung half ihm später zu verstehen, wie das Medium Film funktioniert.
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Mit der Kinemathek ist Koerber seit 1986 in verschiedenen Funktionen affiliiert, vor allem mit seinen wegweisenden Restaurierungen von „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ oder „Menschen am Sonntag“ (in Kooperation mit dem Nederlands Filmmuseum). Zwischen 1995 und 2003 verantwortete er die Retrospektive der Berlinale und intensivierte in diesen Jahren den Austausch zwischen Archiven und Hollywood-Studios, um die Reihe als Schaufenster für neue Restaurierungen international zu etablieren.
Seine Erfahrungen hat Koerber stets bereitwillig geteilt. So war es nur folgerichtig, dass er 2003 zum Professor für Restaurierung von audiovisuellem Kulturgut an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin berufen wurde. Wissensvermittlung ist ihm wichtig, nicht zuletzt, weil er Restaurierungen als Lernprozess versteht: Immer wird auch ein Stück Geschichte freigelegt. Es liegt in der Verantwortung des Restaurators, die Integrität des Kunstwerks zu bewahren.
Darum erinnert sich Koerber am allerliebsten an die Zusammenarbeit mit Filmemacherinnen wie Ula Stöckl, Helke Sander und Helma Sanders-Brahms, deren Gesamtwerk unter seiner Leitung in den Bestand der Kinemathek aufgenommen wurde. Eine Restaurierung sei ein niemals abgeschlossener Vorgang, sagt Koerber. Jede Generation entdeckt die Filmgeschichte neu. Jetzt seien eben andere an der Reihe. Und er freut sich, mal wieder Zeit für ein Buch zu finden.