Resonanzraum, unzerbrechlich

Marianne Ludes ist Unternehmerin, Autorin, seit Kurzem auch Vorsitzende von lit:pots e.V., dem Verein hinter dem Festival Lit:potsdam. Stefan Ludes ist Architekt und selbst auch Bildhauer. Seit 17 Jahren residieren die beiden in Potsdams Villa Jacobs über dem Jungfernsee. Auf einem acht Hektar großen Terrain, das einst Peter Joseph Lenné gestaltete und heute zum Unesco-Kulturerbe gehört.

Aber an diesem Frühsommermorgen auf der Terrasse der Villa geht es vor allem um die Kunst eines anderen, Alexander Polzin. Er ist der, dem die Broschüre auf dem Tisch gewidmet ist. Er ist der, der darin den Satz von Ernst Barlach zitiert. Der Anlass: Ein Werk des Berliner Bildhauers ist gerade in den Garten des Ehepaar Ludes eingezogen. Und auch wenn es nur geliehen ist: Es dürfte gekommen sein, um zu bleiben. „Fragments of Pound“ besteht aus zwei monumentalen Quadern aus Diabas, eine der härtesten Steinarten der Welt. Sie wiegen mehrere Tonnen.

Picknick für Hunderte

„Da wollte es gut überlegt sein, ob die Skulptur zu uns passt“, sagt Stefan Ludes. Weil sie jeden Tag mit ihrem schottischen Deerhound Gandalf daran vorbeispazieren, natürlich, vor allem aber: Weil Polzins Arbeit die Ehre zukommt, der Auftakt für ein viel größer angelegtes Projekt zu sein. Das Ehepaar Ludes, das seit Jahren zum jährlichen Weinfest hunderte Gäste im Garten picknicken lässt und auch im Rahmen von Lit:potsdam seine Pforten für Lesungen öffnet, will die Nutzung von Villa und Park für die Zukunft sichern, „über unser Leben hinaus“. Dafür haben sie eine Stiftung gegründet, die sich der Kunst, Literatur und Musik verschrieben hat. Sie können sich die Villa als Potsdams Variante von Schloss Wiepersdorf vorstellen: als Ort für Künstlerresidenzen und Austausch.

Später mal. Zunächst jedoch steht die erste Aktivität der Stiftung. Im arkadischen Garten der Villa Jacobs soll ein Skulpturenpark entstehen, geplante Eröffnung 2023. Alexander Polzin, der selber stark mit Bezügen zur Literatur arbeitet, auch Bühnenbilder macht und den Grabstein für den Autor Thomas Brasch schuf, macht den Auftakt.

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„Fragments of Pound“, entstanden 2016, ist nicht nur in der physischen Präsenz eine Wucht. Die beiden Blöcke, anderthalb Meter hoch, mehr als zwei Meter breit, liegen im Park unter hohen Bäumen in der Nähe des Seeufers. Wer sich vom pittoresken Teich auf der Anhöhe nähert, erkennt auf der Oberfläche der Skulptur Vertiefungen, die bei genauerem Hinsehen wie Abdrücke menschlicher Körper aussehen. Als hätten Menschen hier lange, lange gelegen – oder als sei der Stein kein Stein, sondern ein Bett, auf dem noch die Umrisse dessen erkennbar sind, der hier eben schlief.

Sarkophage? Opfersteine? Wer noch genauer hinsieht, liest unten am Sockel einen Schriftzug: „I have tried to write Paradise/ Do not move / let the wind speak/ that is paradise.“ Es sind Zeilen des US-amerikanischen Dichters Ezra Pound. Die letzten, die er geschrieben haben soll, etwa zehn Jahre vor seinem Tod. Ezra Pound (1885-1972) war einer der bedeutendsten Dichter der Moderne, Nobelpreisanwärter, Unterstützer von James Joyce, Privatsekretär von William Butler Yeats – und Faschist und Antisemit. 20 Jahre lang, bis 1945, lebte Ezra Pound in Italien, als glühender Verehrer Mussolinis.

Poet auf Irrwegen

Durch die Beschäftigung mit Pound stellt der Bildhauer Polzin Fragen, die direkt in das Herz heutiger Debatten treffen, wie Marianne und Stefan Ludes sagen. Pound lag politisch, moralisch, ethisch fatal daneben – aber was heißt das für sein Werk? Sollte man Pounds „Cantos“, die T.S. Eliot, Ernest Hemingway und James Joyce beeinflussten, nicht mehr lesen? Wie stark lassen sich Autor und Werk trennen? Und: Wie kommt es, dass sich ein Autor wie Pound derart verirren konnte?

Für das Ehepaar Ludes ist die Skulptur eine Mahnung an die menschliche Verführbarkeit – ob durch Kunst oder durch politische Ideologie. Etwas, das gerade auf dem geschichtsträchtigen Gelände am Jungfernsee starken Widerhall findet. Der Garten der riesigen Turmvilla im Stil der Renaissance, 1832 erbaut von einem südsehnsüchtigen Zuckerfabrikanten, später verfallen, abgerissen und 2008 wieder aufgebaut, wurde sowohl von der Wehrmacht wie von der sowjetischen Armee genutzt. Der See davor teilte bis 1989 Ost von West.

[Der Garten, Bertiniweg 2 in 14469 Potsdam, ist immer samstags von 14 bis 16 Uhr im Rahmen von Führungen begehbar.]

Im Arkadien des Ehepaar Ludes soll Polzins Skulptur also Antithese sein – an all das erinnern, was die gepflegten Beete und sanierten Fassaden heute nicht mehr ahnen lassen. Die beiden haben es über die Jahre originalgetreu saniert. Stefan Ludes aber sagt, beim Gang irgendwo zwischen Hippodrom und viktorianischem Gemüsegarten: „Wir wollen hier nicht nur der Romantik Raum geben.“

Der Park soll ein „Resonanzraum“ werden, nicht nur für die Sehnsüchte des 19. Jahrhunderts, sondern auch für Ideen der Gegenwart – und der Zukunft. Ein bisschen mehr Mut in diese Richtung, sagt Stefan Ludes und spricht jetzt als Architekt, sei auch der Stadt Potsdam zu wünschen. Der Garten, in dem er lebt, soll jedenfalls nicht nur Paradies sein. Mit Polzin und Pound ist das Gegenteil jetzt immer greifbar, in den härtesten Stein gemeißelt, den es gibt.