Jonas Wiesen gibt jetzt den Takt im Deutschland-Achter vor

Dieser Sonntag ist für den Deutschland-Achter ein recht bedeutsamer Tag. Das Flaggschiff des Deutschen Ruderverbandes (DRV) bestreitet beim Weltcup in Posen den ersten international bedeutsamen Wettkampf in dieser Saison. Nachdem die Olympischen Spiele in Tokio der letzte große Auftritt für Steuermann Martin Sauer sowie fünf weitere Crewmitglieder waren, gab es den größten Umbau im Boot seit vielen Jahren. Der Vorlauf ist geglückt, doch erst im Finale wird sich zeigen, inwieweit der Umbruch bereits fruchtet.

Insbesondere der Rheinland-Pfälzer Jonas Wiesen, Sauers Nachfolger auf der Position des Steuermanns, trägt dabei eine große Verantwortung. Der 25 Jahre alte Rheinland-Pfälzer trainiert bereits seit 2013 am Stützpunkt des Achters in Dortmund. Nun ist er ganz entscheidend damit betraut, die Potenziale der rudernden Kollegen zu entfesseln.

Dass zahlreiche Routiniers nach der Silbermedaille in Tokio ihre Karriere beendet haben, macht die Aufgabe für Wiesen als Strategen im Boot besonders anspruchsvoll: „Je erfahrener die Personen sind, desto mehr Grundlagen sind durch das lange gemeinsame Training bereits definiert“, sagt er. Gleichzeitig ergäben sich aus einem solchen Neustart auch Chancen für neue Ideen. „Wenn man viele neue und hochmotivierte Leute hat, hat man die Gelegenheit, Strukturen aufzubrechen und ist nicht festgefahren, wie es in anderen Konstellationen der Fall ist“, sagt Wiesen.

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Ruderer, die zur Crew des Achters gehören, haben sich zuvor in unterschiedlichen Prüfungen und Tests durchgesetzt. Doch ähnlich wie bei einer Ballsportart kommt es auch in einem Boot auf viel mehr an als die individuellen Fähigkeiten der Teammitglieder. „Wir haben keine Mannschaft, wo acht Leute exakt die gleichen Stärken haben. Die Kooperation, die stattfinden muss, sowie der Teamgeist sind immens wichtig“, sagt Wiesen.

Heim-WM in München im August

Für den Steuermann ist es deshalb von enormer Bedeutung, die Mitstreiter gut zu kennen. Und das geht weit über die gemeinsame Arbeit im Ruderboot hinaus. Fünf Minuten vor und nach dem Training in der Umkleidekabine können von großer Bedeutung sein, „um zu erfahren, wie eine Person mit einer gewissen Situation umgeht“, sagt Wiesen.

Auch gemeinsame Lehrgänge seien nicht zu unterschätzen. „Dort sehen wir, wie die Körper reagieren und wie einzelne Athleten mental mit Rückschlägen oder positiven Dingen umgehen.“ Das alles summiert sich zu einem Erfahrungsschatz, der insbesondere auf dem Weg zu Großereignissen wie der Heim-EM in München im August und der WM im tschechischen Racice im September immer wichtiger wird.

Nach der Goldmedaille bei den Olympischen Spielen 2012 ging der damalige Steuermann Martin Sauer baden.Foto: DPA/Jim Hollander

Im Gegensatz zur restlichen Crew, die sich meist strikt an die Trainingspläne hält, gibt es für die Steuerleute keine spezifischen Vorgaben, wie sie sich bestmöglich weiterentwickeln. „Hier bringt jeder unterschiedliche Fähigkeiten und Interessen mit“, sagt Wiesen. Zahlreiche Faktoren spielten letztlich zusammen. „Ganz grundsätzlich braucht man ein gewisses Maß an Erfahrung.“

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Das meint zum einen, dass man einschätzen kann, wie es in einem hitzigen Wettkampf zur Sache geht und welche Strategien die Konkurrenz verfolgt. Zudem – und das unterscheidet einen herausragenden von einem guten oder durchschnittlichen Steuermann – ist eben das Menschengespür von besonderer Bedeutung. „Autorität hat man ja nicht automatisch, sondern erarbeitet sie sich. Indem man zeigt: Wir arbeiten hier zusammen.“ Und wenn er seiner Crew eine glaubwürdige Idee vermitteln kann, wie eine knifflige Situation während eines Rennens gelöst werden kann.

Intensiver Austausch mit Martin Sauer

Obwohl Wiesen erst seit dieser Saison das wichtigste deutsche Ruderboot steuert, kann er auf eine lange Vorgeschichte auf dieser Position zurückblicken. Nachdem er bereits als Schüler mit dem Rudern begonnen hatte, zeigte sich schon relativ bald, dass viele Gleichaltrige größer und kräftiger waren als er, der heute 1,70 Meter misst und 55 Kilo wiegt. „Ich wurde dann immer häufiger auf der Position des Steuermanns eingesetzt.“

Anstatt zu hadern, sah Wiesen schnell die Vorzüge dieser Rolle. Zumal es in Deutschland nicht all zu viele Steuerleute gibt, weil schlichtweg die Einsatzmöglichkeiten fehlen. Nachdem im A–Bereich der Zweier ohne Steuermann seit 2017 keine Rolle mehr spielt, kann man sich auf dieser Position nur noch um einen Platz im Achter bemühen. So wie Wiesen, der den üblichen Werdegang vom Jugendlichen über die U19 und die U23 vollzogen hat. Was natürlich dabei geholfen hat, sich viel Wissen anzueignen, was ihm nun auf höchster Ebene nützt.

Zudem profitiert er von acht gemeinsamen Jahren mit seinem Berliner Vorgänger Martin Sauer, der zuvor 13 Jahre lang diese Position besetzt hatte, am Stützpunkt in Dortmund. „Als Steuermann hat man nicht so viel Kontakt zu anderen Steuerleuten, und ich hatte großes Glück, sehr viel von ihm lernen zu dürfen“, sagt Wiesen. Trotz aller Erfolge, die der Achter in dieser Zeit feiern konnte – mit dem Olympiasieg in London als Höhepunkt –, versuche er natürlich seinen ganz eigenen Weg zu gehen.

Eine besondere Herausforderung besteht darin, dass aufgrund der verschobenen Spiele in Tokio der olympische Zyklus bis zu den Sommerspielen in Paris 2024 nur drei Jahre dauert. „In der Planung hat sich grundsätzlich nicht viel verschoben, aber für uns ist das keine einfache Situation, weil wir eine neue Mannschaft aufbauen und formen müssen“, weiß Wiesen: „Das braucht Zeit, wie viel genau, das werden wir herausfinden.“ Einen ersten Hinweis wird das Finale beim Weltcup in Posen an diesem Sonntag liefern.