Wenn Tennis zur Kunstform wird
Beim Tennis liegen Wartezeiten in der Natur der Sache. Spielerinnen warten auf ihr Match, Ordner auf den Seitenwechsel und Fans am Einlass zur Anlage. Letzteres ist oft eine recht nervige Angelegenheit und verleitet geradezu dazu, das Handy hervorzuholen und ein bisschen Zerstreuung zu suchen.
Beim Berliner Rasentennisturnier gibt es in dieser Hinsicht anspruchsvollere Alternativen. Schon das Kassenhäuschen am Gottfried-von-Cramm-Weg fasziniert mit hochwertiger Kunst statt drögem Containerlook. Der digitale Künstler Johann Büsen hat hier ein besonderes Gemälde geschaffen – und das komplett am Computer. So macht Schlange stehen beinahe schon Spaß.
Auf der Anlage des LTTC Rot-Weiß gehen Sport und Kunst in diesen Tagen Hand in Hand. Dafür verantwortlich ist Klaus-Dieter Brennecke, ein Berliner Galerist und Tennisfans. Seit sechs Jahren ist er Mitglied im Klub, und als die Macher des neuen Turniers auf ihn zukamen, um über ein Kunstprojekt mit ihm zu sprechen, war er sofort begeistert.
„Das schafft ganz neue Perspektiven“, sagt Brennecke. Menschen, die sonst mit Kunst kaum Berührungspunkte haben, können sich beim Art Walk auf der Anlage Werke von Kim Dreyer, Franziska Maderthaner, Lars Teichmann, Büsen – und natürlich Elvira Bach ansehen. Die Berliner Künstlerin ist der vielleicht größte Name bei diesem Turnier außerhalb der Weltklassespielerinnen. Von ihr sind mehrere Gemälde und eine Skulptur gleich hinter dem Einlass ausgestellt.
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Daneben gibt es Exponate verschiedener Stilformen, Epochen und Einflüsse auf einer Art Open-Air-Galerie – im Preis für die Tickets ist das alles inbegriffen. Bachs Werke zieren zum Beispiel die wuchtige Außenarchitektur am Steffi- Graf-Stadion. Von Court Nummer eins aus erschließen sich die einzelnen Werke besonders nachhaltig.
Dabei haben die Künstler nicht live auf oder an den Objekten gearbeitet, wie Brennecke erklärt: „Das ist fast alles gedruckt, was bei der Größe der Bilder und vor allem der Daten gar nicht so einfach war.“ Brennecke war anfangs skeptisch, ob die teils vergrößerten Kopien seinen qualitativen Ansprüchen gerecht werden würden. Jetzt ist er zufrieden: „Das hätte ich vorher nicht gedacht und würde das zukünftig wahrscheinlich durchaus wieder so versuchen“, sagt er.
Besonders eindrucksvoll ist ein 32 Meter langes und fast drei Meter hohes Panoramabild von Johann Büsen auf Planen gleich hinter dem Sponsorenpark in Richtung Hundekehlesee, auf dem die einzelnen Motive ineinander übergehen. Vom Klubhaus aus lassen sich dabei viele Details erkennen. Lars Teichmann wiederum, der aktuell bei Brenneckes Fine Art ausstellt, ist mit einzelnen Kunstwerken gleich hinter einer Tribüne des Center Courts vertreten.
Nicht immer werden die Werke dabei auch wahrgenommen, Kommerz kommt zuweilen noch vor Kunst, wenn es darum geht, einen Foodtruck zu platzieren. „Das lässt sich manchmal nicht ändern“, sagt Markus Zoecke vom LTTC Rot-Weiß und verweist darauf, dass „dennoch genügend Exponate gut sichtbar“ platziert wurden.
Was wäre Kunst, wenn sie nicht polarisiert?
Brennecke wiederum ist klar, dass er mit seiner Aktion Neuland betritt und nicht immer ungeteilte Zustimmung für seine Ideen erhält. Aber: „Das ist so in der Kunst. Und was wäre sie, wenn sie nicht polarisiert?“, sieht Brennecke es sportlich. Und natürlich gehören zu einem Tennisturnier auch Tennisbilder. Am Garderobenhaus gleich hinter dem Eingang prangt an der Seitenwand ein Bild von der österreichischen Künstlerin Franziska Maderthaner, auf dem sich Steffi Graf und Vereinsikone Gottfried von Cramm zwischen Funk- und Fernsehturm Bälle zuschlagen.
Von Cramm findet sich auch an anderer Stelle, Kim Dreyer hat ihn auf mehreren Bildern verewigt. Brennecke ist begeistert von den Ergebnissen, weil er weiß, dass die Kunst frei ist und er niemandem vorschreiben wollte, was sie oder er malen soll. Drei, vier Monate habe Dreyer für ihr Cramm-Bild am Klubhaus gebraucht, das Original ist dabei auch hier deutlich kleiner. Ihr ist damit genauso ein echter Hingucker gelungen wie Teichmann mit seinem Riesentennisschläger oberhalb des Eingangs zum Restaurant „Le Baron“.
Und die Besucher? „Ich freue mich über jeden, der stehen bleibt und sich das anschaut. Und vielleicht lassen wir das alles nach dem Turnier ja hängen“, sagt Brennecke. Auch wenn es dann keine Wartezeiten mehr gibt, die von den Vereinsmitgliedern überbrückt werden müssen. Aber die kann man sich ja schließlich auch selbst nehmen, um erst Kunst zu schauen und davor oder danach Tennis zu spielen.