Gott der Grantler
Mit 50 hat jeder das Gesicht, das er verdient. Ein sehr wahrer Kalenderspruch. Von 80 gar nicht zu reden. Gerhard Polt hat die Vorderansicht seines Quadratschädels in knapp 50 Bühnenjahren hingebungsvoll geformt. Jene Grantler-Mimik nämlich, die heute ganz von allein in die Furchen rutscht, die der Kabarettist seiner Bühnenpersona so oft verliehen hat.
Mit dem vorgeschobenen Besserwisser-Kinn des bornierten Bürgers und den Stirnfalten des alarmierten Nörglers. Kombiniert mit Trachtenjanker, Rundrücken und Polts behäbigen Bewegungen ergibt sich so ein bajuwarisches Stillleben. „Polt ist ein Kontinent“ hat die „taz“ mal über den Münchner geschrieben, der am Schliersee lebt. Das stimmt, solange der Kontinent in Bayern liegt.
„Nikolausi. Nein, das ist ein Osterhasi. Nikolausi. Nein, Osterhasi, Osterhasi sog i! Nikolausi. Schau doch mal hin, Rotzbengel, du, das ist ein Osterhasi!“ Oder auch: „Einer muss immer zum Auto schauen. Einer muss schauen, immer. Heinz-Rüdiger, da geh her, net ins Wasser, erst eincremen! Erst eincremen, Heinz-Rüdiger, eincremen, net ins Wasser. Heinz-Rüdiger, erst eincremen!“
Oder auch: „Sag’ schön Grüß Gott, Mai Ling. Ich hab’ sie erst seit drei Wochen, aus dem Katalog. Sie ist etwas gelb angekommen. Aber reinlich ist sie. Und sie schmutzt net. Nicht wahr, Mai Ling? Mir san sehr zufrieden.“ So klingt eine kleine Best-of-Lautmalerei Marke Polt. Satirische Monologe von lieb über sarkastisch bis bitterböse.
Polt forderte in den 80ern die CSU heraus
Aus drei Polt-Klassikern: dem Sketch „Nikolausi“, in dem ein Mann ein störrisches Kind von einem Irrtum abbringen will, der Deutsche-im-Ausland-Filmsatire „Man spricht deutsh“ und dem Sketch „Mai-Ling“, in dem Polt als Alltagsrassist von nebenan über seine stumm daneben sitzende Katalog-Gattin aus Asien schwadroniert.
Der engstirnige Deutsche, der mit größter Selbstverständlichkeit seine beschränkte Weltsicht hinausposaunt und lebt. Das ist der Typus, mit dessen Hilfe sich der Menschenbeobachter und -darsteller an sozialen und politischen Verhältnissen abarbeitet. Ob mit oder ohne runden Geburtstag.
Polt selbst bezeichnet sich als Geschichtenerzähler, nicht als Kabarettist. Ein Band neuer Geschichten des literarischen Kabarettisten mit dem klingenden Titel „Dr. Arnulf Schmitz-Zceisczyk“ (Kein & Aber) über einen wohlstandsverwahrlosten Privatier vom Tegernsee ist gerade erschienen. Und die 40-Jahre-Jubiläumtour von Gerhard Polt und den Well-Brüdern aus’m Biermoos, die vor 11 Jahren die bewährten Biermösl Blosn ablösten, tingelt in den nächsten Monaten nicht nur durch Truchtlaching, Gauting und Schrobenhausen, sondern bis hinunter nach Wien und hinauf nach Bonn.
[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]
War das eine konservativen Muff zersetzende Gaudi, als die Well-Brüder und Polt in den Achtzigern die bayerische Staatspartei CSU mit Gesängen und Sketchen herausforderten. Auch in Dieter Hildebrandts „Scheibenwischer“ wurden sie Stammgast.
Polt und die linke Volksmusik-Fraktion stehen in der Eigenwilligkeits-Tradition bayerischer Brettlkomödianten. Und als Münchner hat schon dem kleinen Gerhard der große Komiker Karl Valentin Eindruck gemacht.
Seine Trümmerkindheit in Kriegsruinen steckt dem am 7. Mai 1942 geborenen Polt bis heute in den Knochen. Den Ukraine-Krieg empfindet er „als bedrückende Angelegenheit, die mich persönlich betrifft“, hat er der Deutschen Presseagentur gesagt und den Offenen Brief von Alice Schwarzer und anderen Kulturschaffenden gegen die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine unterzeichnet.
Er war bei dem offenen Schwarzer-Brief an Scholz dabei
Dass Humor eine Möglichkeit ist, Verletzungen und Schmerzen zu verarbeiten, hat Polt schon als Kriegskind begriffen, wie er in der Dokumentation „Der Mensch ist ein Viech, was lacht“ erzählt, die ihm die ARD zum Geburtstag widmet (in der Mediathek).
Der Stammtisch der Kriegsinvaliden im Wirtshaus entsetzte und begeisterte ihn, ob des wüsten Gelächters, dass dort nach ein paar Maß Bier herrschte. Mit Dialogen wie: „Den Fuß hab’ ich im Kaukasus verloren“ – „Dann fahr halt nochmal hin und such ihn!“ Humor als Trost, Ablenkung und Therapie, als Notwehr gegen die Grausamkeiten der Welt, das ist Polts Prinzip. Seit ein paar Jahren engagiert sich der studierte Politikwissenschaftler und Skandinavist auch für ein „Haus des Humors“ in München.
Dass er selber bei den vielen Bühnenjahren, Büchern und Filmen auch prominent geworden sei, davon will der Gott der Bühnen-Grantler nichts wissen. Er sei gewiss nicht prominent, wehrt er in der Dokumentation barsch ab, höchstens ein wenig bekannt. „Prominent sein ist eine Rolle, die muss man annehmen. Ich bin’s nicht und aus“. Glaubt zumindest er, der Gerhard Polt.