Die Klassiker sind wieder auf Landpartie
Exakt eine Stunde vor Konzertbeginn setzt der Regen ein. Nicht stark genug, um die Landwirte zufrieden zu stellen, aber dank stürmischer Böen doch ausreichend, um die Besucher zu piesacken, die zur Eröffnung der Brandenburgischen Sommerkonzerte nach Luckau gekommen sind. Bereits kurz nach seiner Gründung war das Festival, das die Klassiker auf Landpartie schickt, 1992 erstmals zu Gast in der dortigen St. Nikolai-Kirche, daran erinnert Ministerpräsident Dietmar Woidke in seinem Grußwort. Damals befand sich das stolze gotische Gotteshaus mit der exquisiten barocken Innenausstattung allerdings in einem desolaten Zustand, viele Bereiche waren wegen Baufälligkeit gesperrt.
Wie das ganze Niederlausitz-Städtchen präsentiert sich auch die Nikolaikirche längst wieder aufs Feinste denkmalgerecht saniert. Geblieben allerdings ist, das zeigt sich schnell beim Konzert mit dem Philharmonischen Orchester Zielona Gora, die problematische Akustik. Die Noten hallen hier doppelt so lange nach wie in einem idealen Konzertsaal, zudem wird das Obertonspektrum der Instrumente abgeschnitten, was den Klangeindruck stumpf und dumpf macht.
Energie und Elan sind zu spüren
Unter der Leitung ihres jungen Generalmusikdirektors Rafal Kloczko arbeiten die Musiker:innen aus der westpolnischen Stadt engagiert dagegen an, Energie und Elan sind bei Mozarts „Figaro“-Ouvertüre ebenso deutlich zu spüren wie bei der 8. Sinfonie Beethovens. Und doch bleibt Vieles im Vagen, gehen interpretatorische Details verloren im Wattig-Ungefähren. Romantische Werke haben es hier leichter als die zartgliedrige Wiener Klassik, das wird bei der Zugabe deutlich, einer Polonaise aus der Oper „Hrabina“ des polnischen Nationalkomponisten Stanislaw Moniuszko.
Findig geht der Pianist Martin Helmchen mit den akustischen Herausforderungen um. Im Mozartschen D-Dur-Klavierkonzert KV 451 verleiht er einer musikwissenschaftlichen These klingendes Leben: dass nämlich alle Musik des Salzburger Genies ihre Wurzeln im Musiktheater hat. Er setzt seinen Solopart auf dem Bechstein-Flügel also effektvoll in Szene, spielt gestisch, wird zum Geschichtenerzähler. Als Oper ohne Worte erscheint besonders der langsam Mittelsatz: Eine nächtliche Szene erscheint vor dem inneren Auge, in der sich eine imaginäre Sopranistin in zarter Liebessehnsucht verzehrt. Bewundernswert dann auch, wie Helmchen im Finale durch größtmögliche Natürlichkeit Brillanz herzustellen vermag – und damit jenen Sonnenglanz ersetzt, der an diesem kalten Maiwochenende so schmerzlich fehlt.
Wolfram Korr, der Geschäftsführer und künstlerische Leiter der Brandenburgischen Sommerkonzerte, setzt mit diesem Eröffnungskonzert zwei Akzente, die in die Zukunft weisen. Mit Martin Helmchen und seiner Frau, der Cellistin Marie-Elisabeth Hecker, will er künftig intensiv zusammenarbeiten. Denn das Virtuosenpaar, das unweit von Luckau wohnt, plant, ihre Bohnsdorfer „Drauschenmühle“ zu einem Künstlercampus auszubauen und ab 2023 ein innovatives internationales Kammermusikfestival zu veranstalten, mit Veranstaltungen überall in der Spreewald-Region. Eine Sneak-Preview gibt es bereits in diesem Sommer, bei einem Scheunenkonzert am 27. August.
Kultureller Austausch mit Polen
Verstärken will Wolfram Korr auch die Kontakte des Festivals nach Polen. Auf das Gastspiel aus Zielona Gora folgt am 6. August der Gegenbesuch der Brandenburger Symphoniker in Gorzow, dem ehemaligen Landsberg an der Warthe. Die 123 000-Einwohner-Stadt 80 Kilometer nordöstlich von Frankfurt/Oder verfügt seit 2012 über einen modernen Konzertsaal mit 600 Plätzen, der junge portugiesische Geiger Javier Comesana wird dort Mendelssohns Violinkonzert spielen, Dirigent Jakob Lehmann hat sinfonische Werke von Grieg, Kodaly und Milhaud für dieses „Europakonzert“ ausgesucht. Im September bieten die Brandenburgischen Sommerkonzerte dann noch zwei Wochenend-Trips mit dem Kulturzug nach Legnica und Wroclaw an, inklusive Bordprogramm auf der Fahrt und Konzertbesuchen vor Ort.
Auch stilistisch will Festivalmacher Korr an den kommenden 16 Wochenenden immer wieder über Grenzen gehen, neben genuiner Klassik – teilweise an ungewöhnlichen Orten wie dem Schiffshebewerk Niederfinow oder der Baustelle der Potsdamer Garnisonkirche – gibt es auch Musical im Schlosspark Doberlug, die Klazz Brothers & Cuba Percussion in Buckow, Filmmusik auf dem Pfingstberg, Folk im Wildgehege Schorfheide, Mittelalterliches in der Wasserburg Gerswalde und Operette in Senftenberg.