In den Rahmen fallen
Die „Bürgerinitiative Breitenbachplatz“ ist eine echte Graswurzelbewegung. Sie will nämlich dafür sorgen, dass dort wieder Grün sprießen kann, wo jetzt Asphalt und Beton den Boden versiegeln. Zehn Jahre hartnäckige Lobbyarbeit haben sich gelohnt – denn ihr Platz hat es tatsächlich in den Koalitionsvertrag geschafft.
Und zwar mit der höchst erfreulichen Formulierung, dass SPD, Grüne und Linke in dieser Legislaturperiode „den Rück- und Umbau überdimensionierter Relikte der autozentrierten Stadt weiter vorantreiben“ wollen, „indem für Projekte wie den Rückbau der Breitenbachplatzbrücke/Tunnel Schlangenbader Straße mit konkreten Planungen begonnen wird.“
In der Tat gehört die Autobahnbrücke, die seit 42 Jahren den Platz im Berliner Südwesten durchschneidet, zu den übelsten Sünden der Berliner Verkehrspolitik. Hier mündet die Stummel-Autobahn A104 direkt in die Tempo-30-Zone der Schildhornstraße, an deren Ende der PKW-Fahrer auf die A103 auffahren kann, einen weiteren Autobahn-Blinddarm, der am Steglitzer Kreisel endet.
Für die brutale Betonbrücke wurde die elegante Anlage des Breitenbachplatzes von 1912 rücksichtslos zerstört. Man schlug eine Schneise mitten durch das lang gestreckte Oval und errichtete eine Schnellstraße auf hohen Stelzen, die in diesem bürgerlichen Wohnviertel wie ein Monstrum aus einem Science-Fiction- Horrorfilm wirkt. Kein Wunder, dass der Leitspruch der Bürgerinitiative lautet: „Wir wollen unseren Platz zurück!“
Als Berlin 1871 zur Hauptstadt wurde, begann ein beispielloser Bauboom. Doch selbst die skrupellosesten Immobilienspekulanten erkannten bald, dass es sich – zumindest in den gehobenen Lagen – lohnt, nicht einfach nur Wohnblock um Wohnblock hochzuziehen, sondern dass man dazwischen besser Freiflächen einplant.
Um Schmuckplätze anzulegen, die dann das Quartier aufwerten. Gerade im Südwesten der Metropole entstanden so öffentliche Orte mit angenehmer Atmosphäre, die bis heute bei den Bürgerinnen und Bürgern beliebt sind.
Der Ludwigkirchplatz in Wilmersdorf, der Victoria-Luise-Platz in Schöneberg, vor allem aber der Rüdesheimer Platz, ebenfalls in Wilmersdorf, sind echte Sehenswürdigkeiten und werden in der ausländischen Presse regelmäßig zu den attraktivsten Hauptstadt-Hotspots gekürt.
Alle drei Plätze haben den Vorteil, abseits großer Durchgangsstraßen zu liegen, in verkehrsberuhigten Zonen. Hier flaniert man gerne, hier sitzt man entspannt auf den Terrassen der Restaurants. Der Breitenbachplatz kann da nicht ganz mithalten. Aber er ist, trotz seiner urbanistischen Verwundung, ein lebendiges Kiezzentrum, mit Geschäften des täglichen Bedarfs und vielfältigem gastronomischem Angebot.
Nur dass eben immer der düstere Schatten der Autobahnbrücke über dem Gelände liegt. Der Ehrgeiz der Bürgerinitiative fokussiert sich darum auf den Bereich der parkartigen Mittelinsel. Lutz Pietschker und Oliver Kraatz können sich dort ein neues Café vorstellen, außerdem „bewegte Wasserflächen“ oder Kolonnaden, Tischtennisplatten und eine Boulebahn. Sie schwärmen im Gespräch vom Potenzial des Platzes.
Eine soziale Mustersiedlung für finanzschwache Kreative
Ein „Dritter Ort“ soll hier entstehen, ein Treffpunkt, der frei ist vom Konsumzwang kommerzieller Freizeitangebote, wo man Eintritt bezahlen oder etwas bestellen muss, um verweilen zu können.
Und auch ästhetisch könnte der Platz endlich vollendet werden, so wie einstmals geplant. Die Qualität von Schmuckplätzen zeigt sich ja besonders daran, dass sie von stilistisch einheitlichen Hausfassaden umschlossen sind – die „Place des Voges“ im Pariser Marais-Viertel ist hier das Ideal-Vorbild. Am Breitenbachplatz gibt es auf der Südseite diese Art der stimmigen Bebauung, mit Mehrfamilienhäusern aus der Weimarer Zeit.
Wer von der Engler- und der Schorlemmerallee kommt, erlebt eine Raumwirkung, die an Arme erinnert, die sich freundlich öffnen und zugleich schützend um die Freiflächen in der Mitte legen. Die Entwürfe für die damals zukunftsweisenden, klar strukturierten Fassaden im Stil der „Neuen Sachlichkeit“ stammen von renommierten Architekten wie Hermann Muthesius, Otto Firle oder auch Ernst Paulus.
Auf der nördlichen Seite, hinter der bis zu 50 Meter breiten Autobahntrasse, fehlt dagegen die spiegelbildliche Blockrandbebauung. Denn dort, wo der Südwestkorso beginnt, konnte der Breitenbachplatz in den 1930er Jahren nicht fertiggestellt werden.
Auf der einen Straßenseite steht zwar ein denkmalgeschütztes Gebäude von Max Taut, in dem heute das Lateinamerika-Institut der FU residiert, daneben gibt es aber nur eine Art Baracke, die ein italienisches Restaurant beherbergt.
Auf der anderen Seite sollten die Bibliothek und das Gesellschaftshaus für eine „Künstlerkolonie“ entstehen, eine soziale Mustersiedlung für finanzschwache Kreative der „Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger“. Der jedoch ging bereits das Geld aus, nachdem die Wohnblöcke am Ludwig-Barnay- Platz errichtet waren.
In der Nachkriegszeit wurden auf der Freifläche zwar Mietshäuser und eine Ladenpassage gebaut, aber bewusst um 90 Grad versetzt zur historischen Platzanlage, um den Geist der neuen Zeit zu versinnbildlichen.
Anders als am Bayerischen Platz in Schöneberg, wo durch das Querstellen von Neubauten in den 1950er Jahren die ursprüngliche Anmutung der Anlage nachhaltig zerstört wurde, ist am Breitenbachplatz jetzt eine städtebauliche Heilung möglich: indem man auf dem Gelände der abgerissenen Brücke die ovale Platzform nach Norden vollendet.
Aber wo immer in Berlin hochfliegende Pläne geschmiedet werden, droht natürlich auch bürokratisches Ungemach, das wird beim Gespräch mit Lutz Pietschker und Oliver Kraatz von der Bürgerinitiative deutlich.
Weshalb hier wohl ein Park hin muss
Nicht nur am Breitenbachplatz selbst, sondern auch entlang der Schildhornstraße würden durch den Brückenabriss Tausende Quadratmeter bebaubarer Fläche entstehen. Hier ließe sich ein neues Wohnquartier entwerfen, idealerweise von städtischen Gesellschaften realisiert und mietpreisgebunden.
Doch der Straßenzug gehört zu Steglitz, wo es nicht genug Grünflächen gibt. Weshalb hier wohl ein Park hin muss, ungeachtet der Tatsache, dass sich gleich dahinter ein riesiges Sportplatzgelände anschließt, auf dem jede Menge Regenwasser versickern kann.
Ebenso wenig zählt, dass im direkt angrenzenden Dahlem nicht nur jedes Haus einen Garten hat, sondern, dass es dort auch breite Alleen mit vielen Bäumen gibt, zahlreiche Parks und zudem das weitläufige Gelände der Agrarwissenschaften der Humboldt Universität.
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Wenn es um die Zukunft des Breitenbachplatzes geht, besteht also noch viel Diskussionsbedarf für Politik und Bürgerinitiative. Zwar liegt mittlerweile eine vom Senat in Auftrag gegebene Machbarkeitsstudie vor, doch es existieren widerstreitende Prognosen, was die Entwicklung des PKW-Aufkommens auf der A104 betrifft. (weitere Infos auf der Website der Bürgerinitiative www.breitenbachplatz.de)
Bis es endlich so weit ist, dass der erste Presslufthammer am Beton der Breitenbachplatzbrücke nagen kann, wird wohl noch viel Durchgangsverkehr die Schildhornstraße hinunterfließen.