Innenansichten einer Diktatur

Der bizarre Führerkult der totalitären Diktatur, in der sich Menschen vor Statuen von Kim Il-sung und Kim Jong-il verbeugen. XXL-Formationstänze bei sportiven Großveranstaltungen. Eine auf Hochglanz getrimmte Ansicht von schick gekleideten Frauen, die an Hochhäusern mit spiegelnden Fassaden entlangspazieren. Das sind propagandistische Motive, auf denen sich Nordkorea so inszeniert, wie es den jeweiligen Machthabern der Kim-Dynastie wohlgefällt.

Doch Andreas Taubert fotografiert auch andere Szenen. Den Polizisten, der in der Mitte der Straßenkreuzung steht und keinen Autoverkehr zu regeln hat. Bauern ziehen Ochsenkarren. Ein Arzt untersucht die Patientin in einer spartanisch eingerichteten Klinik. Eine Frau rägt einen Mann ohne Beine huckepack.

Karnickel und Hühner auf dem Hochhausbalkon

Oder das Panorama eines Hochhauses, das auf den ersten Blick wie eine Wohnwabe überall auf der Welt aussieht.

Doch beim näheren Betrachten zeigt sich, dass auf den Balkonen Gemüsen angebaut wird. „Und überall stehen Verschläge, in denen die Menschen Karnickel und Hühner halten“, sagt Andreas Taubert beim Ausstellungsrundgang.

Ihm gelingen beim Fotografieren des offiziösen Nordkorea auch Alltagsansichten, die Einblicke in das wirkliche Leben des abgeschotteten Landes ermöglichen. Und so den Mangel an Rollstühlen und Nahrung beleuchten.

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Zeigen und nicht zeigen, das sind die Pole, zwischen der sich die Ausstellung „Freiheit hinter Gittern“ in der Fotogalerie Friedrichshain bewegt. Daten, Aufnahmeorte oder Erläuterungen sucht man vergeblich. Ein bestimmtes Nordkorea- Bild vorzugeben, ist Tauberts Sache nicht. Er weiß um die fotografische Inszenierung. Und die zweifelhafte Aussagekraft des Mediums in einem Land, das Besuchern keine Reisefreiheit gestattet.

Spartanisch. Untersuchung in einer nordkoreanischen Klinik.Foto: Andreas Taubert

Das Foto eines maroden Sicherungskastens an einer Hauswand, das man schnell als Beleg für die bröckelnde Infrastruktur im Reich Kim Jong-uns nimmt, relativiert Taubert. „Ich kann Ihnen auch Berlin in einer edlen Hochglanzversion oder in einer runtergerockten Nachkriegsversion fotografieren.“

Wobei hier – anders als in Pjöngjang – kein Aufpasser an die Seite gestellt wird und keine missliebigen Motive gelöscht werden müssen, wie es Taubert passiert ist. Die einheimischen Begleiter seien aber auch nützlich, erzählt er. In Nordkorea herrsche durchaus eine Atmosphäre des Duckmäusertums und der gegenseitigen Beobachtung, wie sie für autoritäre Systeme typisch ist. Da funktioniert der Aufpasser als Beruhigungsfaktor für die Leute und als Türöffner sowieso.

otiHochglanz-Nordkorea. Motive wie diese sollen den Tourismus ankurbeln.Foto: Andreas Taubert

Die Mentalität des Misstrauens ist dem 1964 in Leipzig geborenen Fotografen vertraut. Natürlich sehe er Parallelen zwischen der DDR und Nordkorea, sagt Taubert, der für DDR-Zeitungen fotografierte, ohne SED-Mitglied zu sein.

In Nordkorea hat er zum ersten Mal im Sommer 1989 Aufnahmen gemacht, bei den Weltfestspielen der Jugend und Studenten, die er für die „Bravo des Ostens“, das Jugendmagazin „Neues Leben“ fotografierte. Als einer der ersten ausländischen Fotografen, die überhaupt ins Land durften.

Rund 20 Mal ist Taubert hingereist

Das Verbotene, das Unmögliche reizte ihn, Nordkorea wurde sein Spezialgebiet als Mitglied der Fotografen-Agentur Bilderberg. Rund 20 Mal ist er seither hingefahren, zuletzt 2016. Ein Aufenthalt, um einen Kinodokumentarfilm zu realisieren, wurde wegen der Pandemie mehrfach verschoben. Jetzt soll es im April 2023 wieder hin gehen.

[Fotogalerie Friedrichshain, Helsingforser Platz 1, bis 26. August., Di-Sa 14-18 Uhr, Do 10-20 Uhr]

Wie sich der Eindruck des Landes in dieser Zeit verändert hat? „Wenig, nur ein paar Autos fahren mehr auf den Straßen.“ Ein internes Handynetz gebe es inzwischen. Und ein Bemühen um kleine Öffnungsschritte, die nach Tauberts Beobachtung aber sehr schwergängig laufen. Sichtbares Zeichen ist das Foto der schicken Angestellten vor den Vorzeigehäusern. Es enstand, erzählt Taubert, im Rahmen eines Besuchs von Reiseveranstalt, von denen man sich eine Ankurbelung des Tourismus erhoffte.

Ein stimmungsvolles, durch ein Gaststättenfenster fotografiertes Stillleben eines Paares beim Essen symbolisiert die privaten Glücksmomente des Lebens, die in Nordkorea ebenso existieren wie überall. „Die Menschen sind eingesperrt in einer schlimmen Diktatur“, sagt Andreas Taubert, „wollen aber trotzdem, das Beste daraus machen. Sie können feiern. Sie sind freundlich. Sie versuchen, ihrem Alltag Farbe zu geben.“

Offiziell. Die angeordnete Heldenverehrung von Kim Il-sung und Kim Jong-il gehört zur Propaganda des Regimes.Foto: Andreas Taubert

Da individuelle Erkundungen des Landes nicht möglich sind, hat Taubert, der sonst längst auf Werbefotografie spezialisiert ist, Nordkorea immer als Auftragsarbeit fotografiert. Das erklärt auch die stilistischen Unterschiede. Er war für den „Stern“ und den „Spiegel“, als Begleiter von Parlamentarier-Delegationen oder der Welthungerhilfe, für deren Nordkorea-Hilfe er sich engagiert.

Im Jahr 2001 begleitete er den Transport einer Nahrungsmittelspende von Rindfleisch, das in Deutschland durch die BSE-Krise unverkäuflich geworden war, mittels Kühlschiff nach Nordkorea gelangte und dort verteilt wurde. Bei solchen Geschichten vermisst man dann doch Erläuterungstexte.

Privat. Ein Paar, das mit Meerblick gen Japan beim Essen sitzt.Foto: Andreas Taubert

Unterstützt wird Tauberts Ausstellung von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung des SED-Regimes, die nicht nur sein Archiv von 70 000 DDR-Fotografien erworben hat, sondern auch 3000 Nordkorea- Fotos. Genau der gesellschaftlichen Parallelen in kommunistischen Diktaturen wegen, wie Sabine Kuder sagt, die bei der Bundesstiftung für den Bereich Public History zuständig ist.

Sie lobt bei der Eröffnung Tauberts Fähigkeit, mittels offizieller Fotos trotzdem auch eine andere Geschichte zu erzählen. Und streicht die Notwendigkeit dieser Dokumente für die historische Vermittlungsarbeit heraus. Die häufigsten ausländischen Besuchergruppen der Bundesstiftung seien übrigens Südkoreaner, die sich auf den Tag X der ersehnten Wiedervereinigung mit Nordkorea vorbereiteten, sagt Kuder.

Schaut man auf Andreas Tauberts bekanntes Fotos der Demarkationslinie von Panmumjeon, wo südkoreanische Grenzposten nur eine paar Armeslängen von streng dreinblickenden nordkoreanischen Wachen entfernt stehen, scheint diese Entwicklung fast greifbar zu sein. Es sind schon andere Ideologen gestürzt als Kim Jong-un.