Die Bären-Jury stellt sich vor: Kontroverse Filme sind starke Filme
Eins steht nach der kurzweiligen Pressekonferenz mit der Jury unter Leitung von Kristen Stewart schon mal fest: Den Klassenclown bei den sieben Bären-Juror:innen wird Radu Jude geben. Der rumänische Regisseur, der im ersten Corona-Festivaljahrgang 2021 mit seiner sarkastischen Covid-Farce „Bad Luck Banging or Loony Porn“ den Goldbären gewann, gibt selbstironische Sottisen über sein eigenes Filmland zum Besten („Rumänische Filme? Fast ein so schlimmes Schimpfwort wie ,Bulgarische Filme‘!“) und merkt zur Frage nach der Preiswürdigkeit eines Wettbewerbsbeitrags nur lapidar an, es werde wohl derjenige gewinnen, der die Jury-Mehrheit auf sich vereint.
Kristen Stewart sitzt im Hyatt-Konferenzsaal in der Mitte des Septetts, sympathisch unglamourös, so gut wie ungeschminkt. Mit wachem Blick scannt die 32-jährige US-amerikanische Schauspielerin, die zuletzt als Lady Di in „Spencer“ zu sehen war, den mit Journalist:innen vollbesetzten Raum. Spricht schnell, reagiert schnell, gestikuliert leidenschaftlich. Sie war geschockt, als der Anruf vom Festival kam, gesteht sie, und dass sie wegen der Bürde des Amts etwas nervös sei. Und gosh, yeah, pff, sorry – auf die Schnelle könne sie jetzt nicht ihre Filmvorlieben zum Besten geben.
Aber dann redet sie nicht etwa vermeintlich „typisch“ weiblicher Unsicherheit das Wort, sondern macht klare Ansagen. Festivals seien nicht nur dazu da, um den Film zu feiern, sondern um für Überraschungen zu sorgen. Als Jury wollen sie offen für Neues sein. Gerade solche Filme, die Diskussionen nach sich ziehen, hätten ganz offenbar Qualitäten. Will heißen: Dass die Jury sich am Ende für einen lauwarmen Kompromisskandidaten entscheidet, ist unwahrscheinlich. Kristen Stewart zumindest bevorzugt Produktionen, die Kontroversen auslösen.
Zur illustren Bären-Jury gehört auch Golshifteh Farahani. Die iranische Schauspielerin lebt seit 2009 im Exil in Frankreich, in ihrer Heimat hatte sie unter anderem in „About Elly“ unter Regie des späteren Oscar-Preisträgers Asghar Farhadi mitgewirkt. Nach der Protestbewegung im Iran gefragt, meint die 39-Jährige zunächst, angesichts des Kriegs in der Ukraine, der Unruhen im Iran und des Erdbebens in der Türkei und in Syrien sei die Welt in diesen Tagen ganz besonders aus den Fugen.
Umso wichtiger sei, das Kino und die Freiheit zu feiern, noch dazu in der Stadt des Mauerfalls – eben weil die Welt vor dem Kollaps zu stehen scheine. Den Iran nennt sie unumwunden eine Diktatur. Dort seien die Künstler:innen besonders gefährdet, denn „die Freiheit ist der Sauerstoff für die Kunst“, so Farahani.
Ob während der Lockdowns oder unter den Bedingungen von Krieg und Unfreiheit: Allen Krisen zum Trotz werden die Menschen nicht aufhören, sich Geschichten zu erzählen, sagt Kristen Stewart. Das Kino ist einer der besten Orte dafür, diese dunkle Höhle, nach der wir uns im Lockdown sehnten, wie die Berliner Filmemacherin Valeska Grisebach es nennt. Darin sind alle sieben sich einig, auch die Baskin Carla Simón, die 2022 für „Alcarràs“ den Goldenen Bären gewann.
Grisebach appelliert nicht zuletzt an die Politik, sich um das Kino als erhaltenswerten Ort zu kümmern. Die US-Produzentin Francine Maisler spricht von der Kameraderie der Filmliebhaber:innen, und Hongkong-Regisseur Johnnie To betont, der Film sei die publikumsnächste unter den Künsten. Wer für das Kino kämpft, der kämpft auch für die Freiheit, sagt To, dessen kantonesische Antworten ins Englische gedolmetscht werden. Und die Höhe des Budgets sei am Ende zweitrangig, es komme auf die Vision und die Leidenschaft an. Auch ein gutes Motto für eine Festivaljury.
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