Mode für Menschen mit Prothesen: Wenn der Vater an der Front die Beine verliert

Die Nachricht von der Verletzung ihres Vaters traf Svitlana Volkova in Rumänien, wohin sie 2022 aus Cherson geflohen war. Ihr Vater hatte sich freiwillig an die Front gemeldet. Bei den Kämpfen um Bachmut im April 2023 fiel ihm eine feindliche Drohne direkt vor die Füße.

Als Svitlana Volkovas Mutter ihr am Telefon mitteilte, dass ihrem Vater offensichtlich beide Gliedmaßen amputiert werden müssten, dachte sie sofort: „Ich bin Designerin, ich muss eine Lösung finden, damit mein Vater trotzdem ein erfülltes Leben führen kann“.

Inzwischen ist die Designerin zurück in der Ukraine und lebt in Lwiw. Auch ihre Eltern sind dorthin umgezogen. Vor dem Krieg nähte Volkova transformative Agender-Kleidung. Ihre Rock-Kleider wurden sowohl von Frauen als auch von Männern getragen. „Doch all das gehört nun der Vergangenheit an“, sagt sie beim Gespräch im Bikini Haus.

Jetzt hat sie eine adaptive Kleidungsmarke namens SVD auf den Weg gebracht. Das Kürzel steht für Svitla Volka Denim, aber SVD ist auch ein Gewehr-Modell. Diese Waffe stammt noch aus Sowjetzeiten, wird aber immer noch von ukrainischen Soldaten an der Front eingesetzt.

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Elastische Jeans mit einem durchgehenden Reißverschluss

Angesichts der Anzahl der Amputierten ist der potenzielle Bedarf an adaptiver Kleidung in der Ukraine riesig. „Insbesondere im ersten Jahr, wenn die Prothese eingewöhnt ist, braucht der Prothesenträger einen ständigen Zugang zu ihr“, erklärt Svitla Volka. Weite Hosen scheinen dafür geeignet zu sein, aber sie seien beim Gehen mit Prothesen überhaupt nicht bequem. Bislang wurden in der Ukraine nur Sporthosen mit Klettverschluss für Veteranen entwickelt. Volkovas Meinung nach eignen sie sich durchaus für zu Hause, aber gar nicht zum Ausgehen.

Ihre Jeans hingegen könnte man überall tragen. Es handelt sich um eine elastische, eher schmale Hose mit einem durchgehenden Reißverschluss. Der ist allerdings nicht auffällig – im Gegensatz zu den knallbunten Details. Die aufgesetzten Taschen sind mit bunten 3D-Patches dekoriert. Diese wurden von Svitlanas Freunden von der ukrainischen Künstler-Gruppe „Photinus studio“ entworfen. Als Vorbild dienten die militärischen Chevrons, die alle Soldaten gerne tragen. Das Chevron am Ärmel kennzeichnet die Zugehörigkeit zu einer Militäreinheit. Volkova schwebt vor, dass dieses Abzeichen ein visuelles Symbol für die Community der amputierten Soldaten wird.

Humor und Selbstironie bei den Amputierten

„Your left“ und „Your right“ steht auf den inneren Seitentaschen, die man nach Wunsch auch verkehrt herum tragen kann. „Schwarzer Humor ist etwas, das Menschen mit Amputationen hilft, ihr neues Dasein zu akzeptieren“, erklärt die Designerin. Damit meint sie nicht nur ihren Vater, der mit seinen selbstironischen Witzen die Ärzte im Militärkrankenhaus verblüffte. Sondern auch Dutzende Patienten im ukrainischen Rehabilitationszentrum „Superhumans“. Dort führte Volkova Fokusgruppen durch, um die Bedürfnisse der Amputierten zu erkunden, bevor sie einen Fashion-Look entwarf.

So begann sie im letzten Sommer das Projekt, als sie das Stipendium der Design Academy ADAPT gewann. Der Höhepunkt war die Präsentation der adaptiven Jeans im Einkaufszentrum Bikini Berlin am Rande der Berlin Fashion Week.

Showcase auf der Fashion Week

Die Design Academy ADAPT, die gemeinsam von VORN – The Berlin Fashion Hub und Zalando veranstaltet wird, ist ein Programm, das aus 16 Wochen Fern- und Präsenztraining besteht und in zwei Phasen unterteilt ist: In den ersten acht Wochen haben 100 ausgewählte Talente sich mit Themen wie Nachhaltigkeit, Markenbildung und Geschäftsmodellierung beschäftigt, wobei der Schwerpunkt auf Inklusion und Barrierefreiheit lag.

Svitlana Volkova mit einer von ihr entworfenen Hose.

© Valeriia Semeniuk

In der zweiten Phase wurden die zehn herausragendsten Designer mit einem Stipendium für einen persönlichen Design-Sprint ausgezeichnet, der auf der gerade beendeten Berlin Fashion Week seinen Höhepunkt gefunden hat. Die Finalisten hatten die Gelegenheit, ihre Kreationen in einem Showcase zu präsentieren.

Volkova entwarf Jeans, ein Hemd, eine Weste und einen Bomber. Da das Stipendium jedoch nur ein Stück finanziert, entschied sie sich für die Jeans. Als Model diente ihr ein junger Berliner, dem nach einem missglückten Fallschirmsprung ein Bein amputiert werden musste.

Bei der Präsentation im Bikini Berlin erhielt die Designerin Angebote von mehreren Showrooms aus Berlin und Hamburg. Sie sind bereit, ihre adaptive Jeans in den Verkauf zu bringen. Nun ist sie auf der Suche nach Investitionen für die Schneiderei.