Aslı Özges „Faruk“ auf der Berlinale : Als Papa aus der Wohnung muss
Die Lebenskreise eines Menschen werden immer kleiner, je älter er wird. Mit über 90 ist es manchmal nur noch ein Bett. Da geht es Faruk besser. Er hat seine Istanbuler Wohnung und den Park vorm Haus. Man meint, in diesem schönen, leisen Film von Aslı Özge die Fäden zu spüren, die einen Menschen mit seiner Umgebung verbinden, und bald schon kennen wir uns ganz gut in Faruks Reich aus.
Da ist die kleine hüftwackelnde Plastik-Tänzerin am Fenster und auf der Kommode eine Alptraum-Sammlung touristischer Andenken aus aller Welt. Aber für Faruk ist es Zuhause, und das kann ihm keiner nehmen. Keiner?
In Istanbul ist es wohl noch leichter als anderswo, ältere Häuser einfach abreißen zu lassen. Erdbebensicheres Bauen lautet das Argument. Aber Faruk will kein neues Haus, er will bleiben, wo er ist. Und die Erdbeben der Zukunft erlebt er ohnehin nicht mehr. Faruk Özge – er ist der Vater der Regisseurin – gibt dem Neubau-Verweigerer in „Faruk“ eine ruhige Würde.
Und was nicht zuletzt für diesen Film spricht: Meistens schweigt der alte Mann und wir bleiben dennoch ganz bei ihm. Insofern hat Aslı Özge, die 2009 mit „Men on the Bridge“ ihr Kinodebüt gab und ebenso als Drehbuchautorin arbeitet, auch einen wunderbaren Beitrag zum Thema Resilienz im Alter gedreht.
Und plötzlich entwickelt Faruk sogar eine wunderbare Beredsamkeit, als er einen Test auf seine geistige Zurechnungsfähigkeit machen muss. Nein, er lässt sich nicht aus der Fassung bringen, vorerst nicht.
Immerhin, er hat eine Tochter, die helfen könnte, aber die ist vor allem eine Stimme am Telefon und schickt Postkarten aus aller Welt. Faruks Tochter, so viel wissen wir bald, ist beim Film. Dass es sich nicht um die seriöseste aller Filmproduktionen handelt, ist auch bald klar. Faruks Kommentar: Schweigen.
Er wird also alles allein schaffen müssen: sich eine neue Wohnung für „Zwischendurch“ suchen, seine alte auflösen. Denn natürlich hat die Faruk-Partei der Dableiber verloren. Immerhin, er darf zurückkommen, sogar auf die gleiche Etage im neuen Haus. Es ist schön zu sehen, wie sparsam und beiläufig Aslı Özge kleine Pointen setzt, so wie das Leben selbst: Was dem alten Mann an der zukünftigen Wohnung missfällt, ist nicht zuletzt, dass sie keinen Balkon mehr haben wird, nur einen französischen. Dabei hat er seinen alten nie mehr benutzt. Nicht, seit seine Frau gestorben war. Der leere Balkon bewahrt ihr Andenken.
Was ist eine Wohnung? Für manche nur Start- und Landeplatz, ein Ort zum Schlafen, nicht zum Leben; für viele aber ist sie wie ihr erweiterter Leib, und den kann man nicht einfach amputieren. Was für eine Fremdheit in der Interimswohnung. Ein Zwischendurch mit über 90? Erstaunlich ist, dass es immer noch schlimmer kommen kann, wenn es schlimm kommt. Und seltsam, dass man nicht einmal mit über 90 Jahren darauf vorbereitet ist.