Filmdrama über die Pariser Anschläge: Das nationale Trauma
In der Nacht, in der auf den Straßen von Paris das Undenkbare Wirklichkeit wird, schrillen im gläsernen Turm der Anti-Terror-Abteilung alle Telefone gleichzeitig. Ein Mitarbeiter (Jérémie Renier) versucht noch, dem Sturm der Anrufe Herr zu werden, dann gibt er auf und blickt fassungslos hinaus auf die Stadt.
Mehr als 130 Menschen werden am 13. November 2015 in Paris getötet. Sie sterben vor dem Stade de France, wo gerade das Freundschaftsspiel zwischen Frankreich und Deutschland läuft. Sie sterben in den Cafés und Bars des 10. und 11. Bezirks. Und sie sterben im Nachtclub Bataclan, in dem 1500 Menschen ein Konzert der Band Eagles of Death Metal verfolgen, als die Terroristen mit Kalaschnikows und Handgranaten angreifen. Nichts davon zeigt „November“.
Beim Terror geht es um die Macht der Bilder
Wer einen Film über Anschläge drehen will, muss sich dem Darstellungs-Dilemma stellen. Schließlich geht es beim Terror immer auch um die Macht der Bilder. Sie erzeugen Angst und erweitern den Wirkungsradius eines Attentats – erst recht, wenn die Tat für das Kino noch einmal nachgespielt wird.
Drei Filme kommen dieses Jahr noch in die Kinos, die den 13. November 2015 mehr oder weniger ins Bild setzen. Alle nehmen sie eine andere Perspektive auf die Geschehnisse ein: Einmal geht es um die Überlebenden („Frieden, Liebe und Death Metal“), einmal um die Hinterbliebenen („Meinen Hass bekommt ihr nicht“) und nun in „November“ um die Ermittlungsarbeit in den fünf Tagen nach den Anschlägen.
Regisseur Cédric Jimenez entscheidet sich, konsequent den Blickwinkel der Sondereinheit SDAT zu übernehmen. Das heißt, über weite Strecken sind vor allem Menschen zu sehen, die schnell reden und viel telefonieren. Die Polizist:innen versuchen, die Lage unter Kontrolle zu bringen und sich ein Bild der Lage zu machen. Wie viele Terroristen haben überlebt? Wo sind sie untergetaucht? Ein Gesicht bekommen die Täter ausschließlich auf den Fahndungsfotos, die das Team aus seinen Datenbanken zieht.
„November“ legt zügig Tempo vor. Die Schnittfrequenz ist hoch, die Kamera hastet von einer Figur zur anderen, darunter wabert ein dunkler Elektro-Soundtrack. Der Überblick geht phasenweise verloren, doch auch das fühlt sich stimmig an. Als würde die eigene Überforderung jene der Einsatzkräfte spiegeln.
Interessanterweise bleiben nicht nur die Terroristen schemenhaft. Jimenez, der bereits 2020 mit „Bac Nord“ Erfahrung im Genre des Polizei-Films gemacht hat, billigt auch den Ermittelnden kaum Background zu. Fred (Jean Dujardin), der Leiter der Abteilung, telefoniert in einer Szene kurz mit seinem Kind, bevor er auflegen muss. In einer anderen sieht man die junge Kommissarin Ines (Anaïs Demoustier) an der Seine joggen, kurz darauf ist sie auch schon wieder im Einsatz. Der Notfall, suggeriert der Film, kennt keinen Platz für ein Privatleben.
So bleibt es dem Ensemble vorbehalten, die silhouettenhaften Figuren mit Leben zu füllen. „November“ ist erstklassig besetzt: Dujardin, Demoustier, Renier, auch Sandrine Kiberlain als Chefin im Hintergrund, bringen eine mühelos wirkende Autorität auf die Leinwand. Dank ihnen werden die fiktionalen Figuren, die von Mitgliedern der tatsächlichen SDAT-Einheit inspiriert wurden, durchaus glaubwürdig.
Autor Olivier Demangel und Jimenez haben das Team im Vorfeld der Dreharbeiten interviewt, vor allem, um die Abläufe der Fahndung nachzuvollziehen. Ihnen sind die Details wichtig. Sie wollen die Intensität dieser rastlosen Tage und schlaflosen Nächte vermitteln. Gleichzeitig bemühen sie sich, die Figuren nicht zu heroisieren.
(In den Berliner Kinos Delphi Lux, Hackesche Höfe, Passage, Sputnik, OmU)
Als die Kommissarin Ines eigenmächtig einen Verdächtigen verfolgt, wird sie dafür gemaßregelt, dass sie den Erfolg der Ermittlungen gefährde. In dieser Weise balancieren Jimenez und Demangel fortwährend auf dem Grat zwischen seriös dargestellter Polizeiarbeit und bewusster Zuspitzung. Sie halten sich zwar grundlegend an die Fakten, lassen aber auch gern mal eine Wohnungsdurchsuchung und eine Beschattung in den wimmeligen Straßen der Banlieue effektvoll parallel laufen.
Trotzdem mutet der Anlass für die akribische Polizeiarbeit über weite Strecken merkwürdig austauschbar an. Ein Gefühl für den Schrecken, der vor sieben Jahren Frankreich erschüttert hat, bekommt man erst, als die Ermittler:innen in einem Krankenhaus Überlebende interviewen. Ihre Schilderungen machen nicht nur die Ereignisse für Momente greifbar. Sie werfen auch die Frage auf, inwieweit ein Polizei-Thriller, so gut er funktionieren mag, überhaupt die richtige Form für die Aufarbeitung eines nationalen Traumas sein kann.
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