Staatsoper Unter den Linden: Vaudeville in Havanna
Auf den Straßen Kubas tobt die Revolution. Doch Rachel bleibt auf der Bühne, auch als alle anderen längst weg sind. „Ich lasse sie nicht los, meine Illusionen!“ singt der abgehalfterte Revuestar trotzig ins Mikrofon. Immer hat Rachel nur für Kunst und Liebe gelebt, um den Niederungen des Alltags zu entfliehen. Aufgeben kommt für sie nicht in Frage, gerade jetzt nicht.
Hans Werner Henzes Kammeroper „La Piccola Cubana“ ist die verschlankte Version seines Songspiels „La Cubana“, das in den Siebzigerjahren im US-amerikanischen Fernsehen Premiere feierte. Darin geht es um die turbulente Vita einer fiktiven kubanischen Variété-Sängerin. Zum zehnten Todestag des Komponisten kam jetzt die Kammerversion „La piccola Cubana“ an der Berliner Staatsoper zur Uraufführung.
Das Stück ist inspiriert vom Leben der Amalia Young
Das Libretto stammt von Hans Magnus Enzensberger. Wie Henze ließ sich auch der Schriftsteller in den Sechzigern von Fidel Castro beeindrucken, bevor die politische Realität den Mythos jäh zu Fall brachte. Literarische Vorlage ist hier der Roman „Das Lied der Rachel“ von Miguel Barnet, der durch die Memoiren des kubanischen Music-Hall-Stars Amalia Vorg inspiriert wurde.
Die Geschichte beginnt Anfang des 20. Jahrhunderts, über den Straßenstrich und den Zirkus schafft es Rachel sogar bis in das berühmte Alhambra-Theater, wo sie einige Jahre lang gefeiert wird. Zu materiellem Wohlstand kommt sie jedoch ganz profan als Bordellchefin. Grandios verkörpert die norwegisch-nicaraguanische Sopranistin Victoria Randem eine Künstlerin, die hoch hinaus will, aber immer wieder Rückschläge verkraften muss. In einem künstlichen Tropenambiente mit welken Palmen zeigt sie sich lasziv im knappen roten Kostümchen oder als androgyne Figur im schwarzen Anzug.
An Amouren mangelt es ihr nicht – der mexikanische Tenor Andrés Moreno García tritt gleich in mehreren Liebhaberrollen auf. Mit der „Drecksbrühe Politik“ will die Sängerin nichts zu tun haben. Die Revolten auf der Insel, die in jener Zeit von einer Diktatur in die andere schlittert, bleiben für sie ein fernes Grundrauschen.
Die großbesetzte Originalfassung von „La Cubana“ war seinerzeit ein Flop, auch bei der szenischen Uraufführung 1975 am Münchner Gärtnerplatztheater. Enzensberger überarbeitete später das Libretto undHenzes früherer Assistent Jobst Liebrecht erstellte später nach Vorgaben des Komponisten eine neue orchestrale Version des „Vaudeville in fünf Bildern“. Im Alten Orchesterprobensaal neben der Staatsoper kann man jetzt unter Leitung von Adrian Heger neun Musiker – Mitglieder der Staatskapelle und Gäste – als agiles kleines Salonensemble erleben.
Henzes Musik ist über weite Strecken ein ironischer Kommentar zur Handlung, das Festhalten an hehren Lebenszielen wird als Selbsttäuschung entlarvt. Unterhaltsame Variété-Lieder im Stil der Zwanzigerjahre wechseln ab mit Modetänzen wie Foxtrott und Tango, immer wieder erklingen schräge und grelle Töne. Regisseurin Pauline Beaulieu erweitert den männlichen Blick auf Rachels Leben um feministische Akzente – etwa durch Zitate von Virginie Despentes, die in ihrer Streitschrift „King Kong Theorie“ mehr Akzeptanz für freiwillige Sexarbeit fordert.
Weitere Aufführungen am 29. und 31. Oktober sowie 2., 4. und 6. November
Zur Startseite