„Sex“ im Panorama der Berlinale: Zwei Schornsteinfeger überdenken ihr Leben
Ein karger Pausenraum mit Blick auf strenge Großstadtfassaden und vorbeirauschende Autos. Zwei Schornsteinfeger sitzen zusammen. Der eine erzählt von einem Traum, in dem ihm David Bowie begegnet ist. Der habe ihn angeschaut, als sei er eine Frau, sagt der blonde Mann mit dem Schnauzer und wirkt dabei leicht irritiert.
Die Kamera, die ihn die ganze Zeit bildfüllend beobachtet hatte, öffnet langsam den Blick für den neben ihm sitzenden Kollegen. Der erzählt ebenfalls von einem ungewöhnlichen Blick, den ihm am Vortag ein Mann zugeworfen hat, als er ihn fragte, ob er mit ihm Sex haben wolle. Zunächst habe er abgelehnt und sei weggegangen, habe dann aber kehrt gemacht, um auf den Vorschlag einzugehen. „War es seltsam?“, fragt der Kollege. „Es war ziemlich überwältigend.“
Dies ist das erste von mehreren langen, sehr vertrauten und ehrlichen Gesprächen zwischen den namenlos bleibenden Schornsteinfegern, die im Zentrum von Dag Johan Haugeruds „Sex“ stehen. Der 1964 geborene norwegische Regisseur hat auch das Drehbuch zu diesem auf seine lakonische Art ungemein fesselnden und immer wieder subtil komischen Werk geschrieben. Es folgt den Männern für einige Sommertage durch ihren Alltag, der aus dem gewohnten Takt gerät.
Das wird im Kontakt mit ihren Familien klar. Beide sind mit Frauen verheiratet, leben in monogamen Ehen und haben Kinder. Der Schornsteinfeger, der Sex hatte, hat seiner Frau direkt davon erzählt. In seinem Verständnis ist er deshalb nicht fremdgegangen und auch seine sexuelle Orientierung steht nicht infrage. Allerdings sieht seine Frau die ganze Sache weniger locker, was sich ebenfalls in langen ruhigen Dialogszenen zeigt.
Der Ton von „Sex“ erinnert mitunter an Aki Kaurismäki, ebenso der menschenfreundliche Blick auf die Figuren. Allerdings sind die Männer bei Haugerud deutlich mitteilsamer als bei seinem finnischen Kollegen. Die Offenheit und Aufmerksamkeit dieser Männerfreundschaft ist ohnehin ein seltenes Leinwandereignis, was noch dadurch verstärkt wird, dass die Freunde in einem männerdominierten Beruf tätig sind.
Erfrischend ist auch die Beiläufigkeit, mit der Haugerud Queerness in seinen Film integriert. Was vor allem für eine in Schwarzweiß gedrehte Anekdote gilt, die eine Ärztin in der Mitte des Films über ein schwules Paar erzählt. Dabei steht nicht die Sexualität der beiden im Zentrum, sondern ein absurder Liebesbeweis. Wunderbar.