Mentalität, Leidenschaft und Messi: Argentinien zeigt das, was anderen Favoriten bei dieser WM fehlt

Nein, man muss diese argentinische Nationalmannschaft nicht mögen. Abgesehen vom Künstler Lionel Messi stehen im Team von Trainer Lionel Scaloni vor allem Arbeiter. Und die kämpfen, beißen und treten – wie es sich jeder Coach von seinen Spielern wünscht und gegen die deswegen keiner gerne spielt.

Einer dieser bissigen Infighter ist Nicolas Otamendi. Der mit 1,81 Meter eher kleingewachsene Innenverteidiger macht fehlende Zentimeter an Körpergröße mit unbändiger Leidenschaft wett. Im Viertelfinale gegen die Holländer fiel der 34-Jährige allerdings nicht nur damit auf, sondern auch mit einer Geste nach dem Spiel.

Als die Holländer nach 120 Minuten plus Elfmeterschießen niedergekämpft waren, lief Otamendi dicht an den enttäuschten gegnerischen Spielern vorbei und fasste sich mit den Händen an die Ohren. Dabei blickte er in Richtung von Hollands Denzel Dumfries.

Kämpfen, beißen, treten – dafür stehen die Arbeiter neben Messi

Die Szene wurde im Bild festgehalten und löste anschließend in den sozialen Medien hitzige Debatten, die auch Otamendi nicht entgingen. Allerdings sieht er sich zu Unrecht als schlechter Gewinner dargestellt, denn, so der Profi von Benfica Lissabon: „Das Foto wurde aus dem Kontext gerissen.“ Dumfries hätte zuvor die Argentinier vor deren Elfmetern immer wieder gestört.

Tatsächlich gab der das später gegenüber „Voetbal International“ auch zu: „Man versucht, sich gegenseitig zu provozieren. Ich weiß nicht, ob es klug war, aber es ist etwas geschehen, das mich zu der Reaktion verleitet hat.“ Das macht die Aktion von Otamendi nicht unbedingt besser, relativiert sie aber zumindest ein bisschen.

Emotionen sind es, die dieses argentinische Fußballteam auszeichnen. So war es schon immer, wenn sie erfolgreich sein wollten. 1986 etwa überragte Diego Maradona wie jetzt Lionel Messi alle – und doch hätte er ohne seine – im wahrsten Wortsinne – Streitmacht wohl kaum den WM-Titel feiern können.

Damals standen sich im Achtelfinale Argentinien und Uruguay gegenüber. Es war ein Spiel mit 61 Freistößen und unzähligen Fouls gegen Maradona. Kurzum: Es war ein hässliches Duell, in dem die Widerstandsfähigkeit der Argentinier geprüft wurde. Das Team um die Innenverteidiger Jose Luis Brown und Oscar Ruggeri sowie den bärtigen Abräumer Sergio Batista bestand diesen Test und danach auch alle weiteren.

Unsportlich? Otamendi feiert den Halbfinaleinzug mit dieser Geste Richtung Gegner.
Unsportlich? Otamendi feiert den Halbfinaleinzug mit dieser Geste Richtung Gegner.
© REUTERS/PETER CZIBORRA

Nun könnte sich Geschichte wiederholen. Argentiniens Team ist gewachsen, schon vor dem Turnier, aber auch während der Endrunde in Katar. Die Auftaktniederlage gegen Saudi-Arabien hat die Mannschaft geschockt, aber nicht umgeworfen. Sie hat sich danach gefunden. Und ist am Dienstag im Halbfinale gegen Kroatien (20 Uhr/ARD und MagentaTV) Favorit.

Dabei haben die Südamerikaner bei dieser WM gezeigt, dass sie in der Lage sind, ein Spiel zu bestimmen und ihnen irgendwie immer eine Lösung einfällt. Messis Genialität hilft dabei ganz entscheidend, deswegen ist davon auszugehen, dass die Kroaten alles versuchen werden, um den argentinischen Kapitän zu neutralisieren.

Dass es dabei emotional zugeht und dass es viele Zweikämpfe geben wird, versteht sich beinahe von selbst. Nicolas Otamendi wird sich der Herausforderung stellen, so wie er das in seinen bisher 98 Länderspielen immer getan hat. Seinen 100. Einsatz im Nationaldress im Finale zu feiern, dafür wird er alles auf dem Platz lassen – so wie die anderen Kämpfer in seinem Team.

Ein schönes Spiel ist unter diesen Voraussetzungen nicht zu erwarten, aber ein emotionales allemal. Und auch wenn man diese argentinische Nationalmannschaft nicht mag, so muss man ihr zumindest Respekt zollen für ihren Willen, ein Fußballspiel mit allen Mitteln gewinnen zu wollen. Anderen Mannschaften, die bei dieser WM längst ausgeschieden sind, ist genau diese Mentalität im Nachhinein abgesprochen worden.

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