Pascal Kaiser will queeren Menschen im Fußball ein Vorbild sein
Wenn FSV Veritas Wittenberge/Breese und der SC Hertha Karstädt aufeinandertreffen, kann es schon mal hitziger zugehen. Die beiden Fußball-Vereine der Kreisliga verstehen sich nicht besonders gut, was auch mit den Wechseln einiger Spieler zusammenhängt.
Vor wenigen Wochen war das allerdings anders: Da taten die Spieler und Fans beider Vereine sich zusammen, klatschten und jubelten gemeinsam als große Einheit. Grund dafür war der Schiedsrichter Pascal Kaiser, der sich kürzlich als bisexuell geoutet hatte. In einer Regionalzeitung sprach der 23-Jährige darüber, dass er sich nicht mehr verstecken wolle. „Und dann ging das quasi einmal durch die Prignitz“, sagt Kaiser. „Aber die Reaktionen waren überwältigend, sie waren das größte Highlight in meiner Zeit als Schiedsrichter.“
Pascal Kaiser ist seit mittlerweile sieben Jahren Schiedsrichter. Zuvor spielte er selbst Fußball, verletzte sich allerdings mehrmals und hängte „den Sport schließlich an den Nagel.“ Ganz aufgeben wollte er den Fußball allerdings nicht, also absolvierte Kaiser einen Schiedsrichterlehrgang und begann in seiner Heimat Köln Spiele zu pfeifen. Allen Seiten dabei gerecht zu werden, sei häufig gar nicht so leicht. „Mal hat man die Leine etwas länger, mal etwas kürzer. Noch dazu kennt man in den Landkreisen die Spieler und da ist es manchmal schwierig, unparteiisch zu sein.“
Nach Perleberg zu seinem Partner zog Kaiser im vergangenen Jahr. Dort ist er seither nicht nur als Schiedsrichter tätig, sondern arbeitet außerdem als Pfleger, was aufgrund des Schichtplans eine ziemliche Herausforderung darstellt. „Aber meine Kollegen nehmen darauf Rücksicht, dass ich am Wochenende gerne mal ein Spiel pfeifen möchte.“ Sich im Fußball zu outen war zwar immer schon sein Wunsch, sagt Kaiser.
Gerade im Sport mangelt es an queeren Vorbildern
Die Idee, das in einem Interview zu tun, war aber nicht geplant, sondern eher eine „Kurzschlussreaktion“. Während seiner Zeit als Spieler traute er sich nicht, mit seinen Teamkollegen darüber zu sprechen. Zu groß war die Angst vor Ablehnung. „Wir standen alle unter der Dusche und dann kamen die klassischen Aussagen wie: Lass die Seife nicht fallen. Das sind kleine Aussagen, die viel mit einem machen.“ Hinzu kam, dass Bisexualität im Sport kaum ein Thema sei und bisexuelle Sportler*innen nicht für „voll genommen“ würden. „Für viele gibt es nur schwul und hetero. Denen, die sich als bisexuell outen, wird vorgehalten, sie hätten sich bloß noch nicht gefunden.“
Gerade im Sport sind die Hürden für queere Menschen immer noch sehr hoch und es mangelt an Vorbildern. Umso wichtiger sei es, dass international bekannte Fußballer wie zuletzt Josh Cavallo von Adelaide United sich während ihrer Profikarriere outeten, sagt Kaiser. „Er war im Nachhinein mein Vorbild.“ Seit seinem Coming out fühlt Kaiser sich „extrem befreit“. So befreit, dass er nicht nur zum ersten Mal am Christopher Street Day teilnahm, sondern dabei half, den allerersten CSD in der Prignitz zu organisieren.
Begleitet von einem Musiktruck zogen über 1000 Menschen durch die Wittenberger Innenstadt und schwenkten Regenbogenflaggen. Später gab es auf der Bühne politische Reden und Drag-Show. „Es war einfach wunderschön und hat so viel Spaß gemacht.“ Auch auf dem Fußballplatz spürt Kaiser einige Veränderungen: „Ich merke, dass ich ganz anders pfeife und viel lockerer bin auf dem Feld. Ich achte nicht mehr darauf, wie ich laufe, wie ich die Karte halte und wie ich pfeife. Vorher war ich durchgängig angespannt.“
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Mit seinem Coming out möchte Kaiser anderen Menschen im Fußball den Weg ebnen, ihnen Mut machen und ein Vorbild sein. Gleich im Anschluss an das Interview schrieben ihm mehrere queere Schiedsrichterkollegen, zwei Spieler und ein Vereinsvorstand von ihren Erfahrungen und Ängsten sich zu outen. Der Vereinsvorstand erzählte ihm, dass er Angst habe, seine Autorität zu verlieren; ein Schiedsrichter fürchtete, nicht mehr ernst genommen zu werden und die Spieler hatten Sorge, auf der Wechselbank zu landen. „Die Angst ausgegrenzt zu werden, ist bei allen da.“
„Es braucht Veränderungen von ganz oben“
Kaiser wünscht sich deshalb mehr Aufklärungsarbeit innerhalb der Vereine – und zwar auf allen Ebenen. Trainer sollten homofeindliche Äußerungen verbieten und dagegen steuern, „denn diese Sticheleien in der Kabine geben homosexuellen Spielern viel Gegenwind und dadurch entsteht die Angst, nicht normal zu sein.“ Vom Deutschen Fußball-Bund wünscht er sich ein „Riesenzeichen“, das bei der Teilnahme an der Weltmeisterschaft in Katar anfange.
Im Golfstaat werden queere Menschen kriminalisiert und theoretisch droht ihnen sogar die Todesstrafe. Eine Recherche ergab außerdem, dass mehrere WM-Hotels die Anfragen queerer Gäste abgelehnt hatten. Zwei Journalisten hatten sich als schwules Paar ausgegeben. Auch Josh Cavallo sagte, dass er Angst habe in das Emirat zu reisen, sollte Australien sich qualifizieren. „Es braucht Veränderungen von ganz oben und dazu gehört auch, die Teilnahme an der WM abzusagen“, sagt Kaiser, „ansonsten traut sich auch weiterhin kein Spieler, sich zu outen.“
Er selbst ist Mitglied der Petition „Liebe kennt keine Pause“, die den Druck auf das Emirat erhöhen soll, damit die Diskriminierung queerer Menschen beendet wird. Kaiser hofft, dass das Thema in den kommenden Monaten vor der WM noch viel Aufmerksamkeit erhält, aber auch danach, wenn das Turnier vorbei ist und die Blicke der internationalen Sportwelt nicht mehr auf Katar gerichtet sind.