Er baute Wohnpaläste für die Vorstadt
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in Frankreich sehr viel gebaut, es galt, den in die Städte strömenden Menschen Unterkunft zu schaffen. Dabei entstand allerdings das typische Bild der Banlieue rings um die großen Städte: schlichte Wohnbauten vorwiegend für weniger begüterte Schichten, mit allen Folgen der sozialen Segregation, unter denen die Vorstädte bis heute leiden.
Ricardo Bofill wollte das ändern. Der katalanische Architekt, in Barcelona und Genf ausgebildet, ersann in den 1970er Jahren fantastische Bauten, die wie Tempelfronten, Burgen oder Triumphbögen aussehen, für die bis dahin vernachlässigten Schlafstädte rings um Paris. Zudem ließ er die oft mehrere hundert Wohnungen umfassenden Ensembles in regelrechte Landschaften einbetten, und eine Anlage stellte er gar in die Mitte eines künstlichen Gewässers.
Die Bauten, regelrechte Wohnpaläste und dennoch, der Kosten halber, meist aus Betonfertigteilen gefügt, wurden seinerzeit hoch gelobt – oder aber heftig kritisiert. Um 1980 war die Zeit der Postmoderne mit ihrer Vorliebe für historische Zitate. Man konnte meinen, die Revolutionsarchitektur um 1800 mit ihren bewohnbaren Monumenten sei wiedererstanden.
Mit 24 Jahren gründete er die „Taller de Arquitectura“
Bofill ging es jedoch nie um bloße Inszenierungen. Vielmehr suchte er mit den vorgegebenen Maßen des Sozialen Wohnungsbaus dennoch spannende und identitätsstiftende Architekturen zu schaffen, was die poetischen Namen wie „Arkaden am See“ oder „Waage des Barock“ unterstreichen. Bofill erhoffte sich eine bessere Durchmischung der Bewohner, was zum Kummer des Architekten meist doch nicht recht glückte. Und auch fremdelten die Mieter wohl mit Säulen und Giebeln.
[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]
Bereits im jugendlichen Alter von 24 Jahren gründete er in seiner Heimat Barcelona ein Büro, das er einfach „Taller de Arquitectura“, nannte, Architekturwerkstatt. Nachdem er in Barcelona mit einer Großanlage von über 400 Wohnungen auf sich aufmerksam gemacht hatte, konnte er in Frankreich den größeren Teil seiner Entwürfe realisieren, außerhalb von Paris vor allem in Montpellier, wo seine theatralischen Großbauten unter mediterranem Himmel besser zur Geltung kommen als im Norden. Später allerdings ließ Bofill die Postmoderne hinter sich und schuf klare, kantige Büro- und Geschäftsbauten in Städten wie Chicago, Tokio oder Beirut.
Bofill schuf sich selbst eine Art Traumschloss
Seiner Vaterstadt baute er in seinen reifen Jahren unter anderem ein Hotelhochhaus im Umriss eines geblähten Segels. Sich selbst schuf er mit dem Umbau einer ehemaligen Zementfabrik zum Wohn- und Ateliersitz eine Art Traumschloss. Das Bauen im Bestand betrieb er schon immer; freilich weniger ökologisch motiviert denn aus der Tradition des Weiterbauens heraus, die das Alte stets als Quelle und Anregung des Neuen achtet.
Man könne Architektur „nicht von einem Ort auf einen anderen übertragen“, hat er stets betont: „Architektur muss an jedem Ort spezifisch sein.“ Er scheute sich nicht, vom genius loci zu sprechen. Ihn hat er gesucht und bisweilen selbst erst geschaffen. Am vergangenen Freitag ist Ricardo Bofill im Alter von 82 Jahren gestorben.