Antisemitismus und Bekämpfung: Wir sind McCarthys Erben

Die harte Diagnose, die Susan Neiman den Deutschen stellt, lautet auf „philosemitischen McCarthyismus“. Aus der Perspektive einer linken amerikanischen Jüdin charakterisiert sie das Aufkommen einer Verdachtskultur, die im Bemühen, mit der Schuld des Holocaust umzugehen, über ihr eigentliches Ziel hinausschießt.

Künstler und Intellektuelle, argumentiert sie in ihrem Essay „Historical Reckoning Gone Haywire“ (Eine verirrte historische Abrechnung), würden, zumal in Folge der BDS-Resolution des Bundestags, in ähnlicher Weise antisemitischer Umtriebe beschuldigt, wie es in den 1950er Jahren der republikanische Senator Joseph McCarthy mit seiner antikommunistischen Hexenjagd unter dem Vorwurf unamerikanischer Aktivitäten tat.

Was die Direktorin des Potsdamer Einstein-Forums in der „New York Review of Books“ vom 19. Oktober schreibt, ist vor dem Hamas-Überfall auf Israel entstanden. Die jüngsten Äußerungen der Philosophin zum Nahostkrieg lassen jedoch keinen Zweifel daran, dass sie an der grundsätzlichen Analyse der Misere kein Jota ändern würde.

Ein gebranntes Kind

Neiman ist spätestens seit der HKW-Konferenz „Hijacking Memory – Der Holocaust und die Neue Rechte“ im Juni 2022 ein gebranntes Kind. Mit ihrer Weigerung, die Gleichung Initiative Weltoffenheit ist gleich BDS ist gleich Antisemitismus zu akzeptieren, hat sie sich heftige Attacken eingehandelt, aber auch die Freiheit verteidigt, sich gegen Benjamin Netanjahus Politik auszusprechen.

Israels Ministerpräsident selbst hatte 2019, wie sie in ihrem facettenreichen Essay anmerkt, dazu beigetragen, den persönlich untadeligen Judaisten Peter Schäfer mit einer Beschwerde bei der damaligen Kulturstaatsministerin als Direktor des Jüdischen Museums Berlin zu Fall zu bringen. Anlass war eine Jerusalem-Ausstellung, die angeblich zu vielen muslimisch-palästinensischen Perspektiven Raum gab.  

In ihrer Fallstudie, die über den unwürdigen Streit um die Absetzung von Wajdi Mouawads Theaterstück „Vögel“ über den Aufstieg der AfD bis zu Hubert Aiwangers folgenlos verlaufener Flugblatt-Affäre reicht, sammelt sie Belege für die Formelhaftigkeit, in der die deutsche Gedenkkultur erstarrt ist – fast so wie der Antifaschismus der DDR.

Daran hängt das Plädoyer für ein Judentum, das sich nicht allein durch Leid definiert: „Das larmoyante Konzept der jüdischen Geschichte ist nicht weit entfernt von der afro-pessimistischen Sicht der Geschichte, wie sie Autoren wie Frank Wilderson III vorlegen.“ Nur wer sich davon absetzt, so muss man Susan Neiman wohl verstehen, hat eine Chance, die derzeitige Gewaltspirale aufzuhalten.