Ende der Lippenbekenntnisse im Fußball
„Du Affe kannst eh keine Ecken schießen!“, soll ein 55 Jahre alter Zuschauer beim Drittliga-Fußballspiel am Sonntag zwischen dem MSV Duisburg und dem VfL Osnabrück gerufen haben. Gemeint war mutmaßlich Osnabrücks Profi Aaron Opoku, der sich daraufhin wie auch seine Teamkollegen nicht in der Lage sah, das Spiel fortzusetzen. Nach der zunächst gut 30-minütigen Unterbrechung, kam es zum Abbruch – ein Novum im deutschen Profifußball.
Es ist ein Zeichen, dass sich etwas bewegt in den Köpfen aller Beteiligten und Unbeteiligten. Noch vor ein paar Jahren hätte ein Satz wie der oben zitierte eher für Gelächter gesorgt, und aufgestanden wäre deswegen auch niemand, um lauthals „Nazis raus!“ zu rufen, wie es nun in Duisburg geschah.
Erinnert sei an einen Vorfall aus dem März 2019, als die deutschen Nationalspieler Leroy Sané und Ilkay Gündogan dem Sportjournalisten André Voigt zufolge wahlweise als „Bimbo“ oder „Türke“ tituliert worden waren. Voigt berichtete von Zuschauern, die die Spieler ihrer eigenen Mannschaft in Wolfsburg im Duell mit Serbien immer wieder rassistisch beleidigt hätten und auch nicht einsichtig gewesen wären, als Voigt sie daraufhin angesprochen hatte. Noch schlimmer sei gewesen, dass es unter den anderen Besuchern in direkter Nähe niemanden gegeben hätte, der eingeschritten sei.
Wenn man so will, ist das, was am Sonntag in Duisburg passiert ist, ein Fortschritt. Zumindest was die Reaktion auf rassistische Beleidigungen angeht. Es tut sich etwas in den Stadien der Republik. Womöglich auch deswegen, weil das Thema Rassismus und Antisemitismus inzwischen auch von den Vereinen und Verbänden ernster genommen und es nicht mehr nur bei bloßen Slogans bleibt, die letztlich ohne Wert sind, weil doch wieder regelmäßig etwas passiert. Als es beispielsweise kürzlich beim Spiel des 1. FC Union gegen Maccabi Haifa im Olympiastadion zu antisemitischen Übergriffen einzelner Berliner Fans gekommen war, reagierte Union bei einem ermittelten Täter schnell mit Hausverbot und Vereinsausschluss.
Im Falle von Aaron Opoku kommt allerdings noch die direkte persönliche Ebene hinzu: „Es war nicht möglich, dass Aaron weiterspielt. Er war in der Situation am Boden zerstört“, sagte Osnabrücks Sportdirektor Amir Shapourzadeh in einem Video-Interview der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ und berichtete davon, dass nach dem Spiel VfL-Anhänger vor der Mannschaft eine Ansprache gehalten und Opoku Unterstützung zugesprochen hätten. „Sie haben gesagt, dass sie voll und ganz hinter ihm stehen und so etwas bei uns nie dulden würden, wenn irgendwas in diese Richtung passiert“, berichtete Shapourzadeh.
Es war der erste Spielabbruch in einer deutschen Profifußball-Liga wegen eines Rassismus-Vorfalls
Auch Opokus Mitspieler und die Profis vom MSV Duisburg waren sich darüber einig, nicht weiterspielen zu wollen. „Indem man so was macht, zeigt man: Mit uns geht das nicht mehr. Wir haben die Schnauze voll von euch Vollidioten“, sagte der DFB-Botschafter und frühere Nationalspieler Jimmy Hartwig im NDR-Fernsehen.
Hartwig selbst hatte in seiner Zeit als Bundesligaprofi in den 1970er und 80er Jahren eine derartige Solidarität nicht erfahren, wie er anlässlich der Veröffentlichung des Dokumentarfilms „Schwarze Adler“ vor einigen Monaten in einem Interview der „Süddeutschen Zeitung“ erzählte: „Da gab’s immer zwei oder drei, die sich mit mir gut gestellt haben: ,Hey Jimmy, mein Freund!’ Aber als die Fans damals ,Negerschwein’ gerufen haben, ist keiner gekommen und hat mir geholfen.“ Wirklich besser sei es seither allerdings nicht geworden. Der Rassismus in der Gesellschaft nicht weg, sondern nur unterschwelliger, sagte Hartwig.
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Umso wichtiger sind Aktionen wie in Duisburg. Wo Menschen gemeinsam klare Kante gegen Rassismus zeigen und damit eine gesellschaftliche Debatte vorantreiben, die sich allzu oft in Lippenbekenntnissen erschöpft. „Wenn Menschen in ihrer Würde verletzt werden, kann man nicht einfach wieder anpfeifen. Aaron Opoku hat unsere volle Solidarität“, sagte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst. Und die neue Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan, sprach von einer „konsequent richtigen Entscheidung“.
Jordan Torunarigha von Hertha BSC hat in der Vergangenheit beide Extreme erlebt. Als er in einem DFB-Pokalspiel auf Schalke mit Affenlauten verunglimpft wurde, lief das Spiel anschließend weiter, Hinweise an das Schiedsrichtergespann seien ignoriert worden. Im Sommer wiederum, als Torunarigha mit der deutschen Olympia-Auswahl ein Testspiel in Japan gegen Honduras bestritt und sich von einem Gegner rassistisch beleidigt fühlte, verließen die DFB-Spieler geschlossen den Platz.
Der Kampf gegen Rassismus im Fußball ist wie in der Gesellschaft langwierig und längst kein deutsches Phänomen. So berichtete Vincent Kompany, Trainer von Belgiens Traditionsklub RSC Anderlecht, am Wochenende von Beschimpfungen gegen ihn und seine Profis am Rande des Spiels beim FC Brügge. Sie seien als „schwarze Affen und was auch immer“ bezeichnet worden, erzählte Kompany und meinte: „Dieser Tag endet traurig, ich bin angewidert.“ (mit dpa)