Vergiftete Paradiese
Grün ist die Signalfarbe der Natur. Da liegt es nahe, eine Ausstellung mit Erde, lebenden Regenwürmern und blinden Fischen in ein grünes Licht zu tauchen. Im Schinkel-Pavillon schimmert der Farbton allerdings wenig hoffungsfroh, sondern eher toxisch. Wie feuchtes, Geheimnisse bergendes Moos – ein Ort der Dämmerung und zwielichtigen Gestalten.
Der monumentale Erdhügel, den Pamela Rosenkranz mitten im vieleckigen Pavillon hat aufschütten lassen, passt perfekt in dieses Ambiente. Ein krümeliger, fragiler Berg, der nach „Obsession“ von Calvin Klein duftet. Dass das Parfüm des Modeschöpfers Pheromone enthält, muss man glauben. Identifizieren lässt es sich von der menschlichen Nase nicht.
Aber allein die Behauptung, ein Duft operiere mit Hormonen auf tierischer Basis, katapultiert die Arbeit der Schweizer Künstlerin direkt ins Zentrum der Gruppenschau „Sun Rise / Sun Set“: Hier geht es um ein Anthropozän, das weiter und schlauer als seine Erfinder ist. (Oberwallstr. 1, Mi–So 11–19 Uhr mit Online-Reservierung unter www.schinkelpavillon.de)
Entwürfe einer neuen Welt
Während die Weltgestalter noch überlegen, wie sie den Planeten nach ihren ökonomischen Bedürfnissen umbauen und weiter ausbeuten können, streben die im Pavillon versammelten Künstler:innen nach einer anderen Version von Zukunft.
Rosenkranz hat ebenso wie Pierre Huyghe oder Torbjørn Rødland begriffen, dass sich das Ausrotten vermeintlich überflüssiger Spezies nicht beschränken lässt. Wer das glaubt, riskiert am Ende schließlich auch die eigene Vernichtung.
Darauf möchte niemand der im Schinkel-Pavillon Versammelten warten. Lieber arbeitet man an eigenen Entwürfen einer Welt, in der „Menschen, Tiere, Pflanzen, Technik und Ökonomie, unbelebte Dinge und Nicht-Wesen untrennbar miteinander verwoben sind“.
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So beschreiben es die beiden Kuratorinnen der eindrucksvollen Ausstellung, Nina Pohl und Agnes Gryczkowska. Ein Paradies ist es nicht geworden, selbst wenn Rødland auf seiner Fotografie „Frost no. 4“ einen Arm um die schrundige Rinde eines Baums legt, der so Gesellschaft bekommt.
Was wie eine liebevolle Geste, die Umarmung eines Giganten aussieht, lässt sich auch anders interpretieren: Die Natur hat sich mit dem Menschen zu arrangieren wie umgekehrt der Mensch mit dem, was ihn umgibt. Wer sagt, dass der Baum nicht lieber einen Artgenossen um sich hätte?
Wie unheimlich die Allianzen sein können – und dass Künstler:innen nicht erst seit gestern davon (alp-)träumen –, beweisen Bilder von Richard Oelze oder Henri Rousseau. Dessen Gemälde „La Belle et la Bête“ von 1906 konnten die Kuratorinnen aus der Sammlung Scharf-Gerstenberg und damit den Staatlichen Museen entleihen.
Düstere Schönheit
Ein kleiner Coup – und großartiger Beitrag zum Thema, denn Rousseaus erotische Szene von 1908 erzählt vom Sex zwischen Frau und Tier. Als Motiv hat es bereits im frühen 20. Jahrhundert seine mythische Unschuld verloren; von heute aus wirkt es wie ein bildhafter Vorgriff auf die genetischen Manipulationen der Gegenwart, das Schweineherz im menschlichen Körper oder das Ohr auf dem Rücken einer Labormaus.
Die düstere Schönheit in den Ausstellungsräumen bringt einen auf solche Gedanken. Vor allem im Keller, der sich im Seitentrakt in kleine, gekachelte Räume verzweigt, bleiben die Assoziationen an einen klinischen Ort nicht aus. Dabei ist längst nicht jede Arbeit eindeutig: Die Skulpturen von Rachel Rose beispielsweise würden anderswo den Charakter von Designobjekten haben.
Zwischen den spekulativen Entwürfen einer Überlebenswelt gerinnen sie zu Zwittern, die sich aus gefundenen Steinen und von Hand gemachten Glashüllen zusammenfügen. Natürliches verschmilzt mit Industriellem, Organisches verbündet sich mit totem Material.
Pierre Huyghes Aquarium ist auch dabei
Es ist eine Vision des Unvollkommenen, ein ästhetischer Kompromiss. Was die Würmer in Precious Okoyomons mit Erde gefülltem Steinbottich anrichten, bleibt ihnen überlassen. Die Künstlerin ist Teil des Systems – nicht seine Meisterin und „Ditto Ditto“ von 2020 eine vielköpfige Kooperation.
Ähnlich verhält es sich mit Pierre Huyghes mit Stalagmiten gefüllten Aquarium, das verblüffend der Leinwand von Max Ernst ähnelt, die gleich gegenüber hängt. Ernsts surrealistischer „Sumpfengel“ (1940), eine Ikone aus der Fondation Beyeler in Basel, entstand kurz vor seiner Flucht ins amerikanische Exil. Zu sehen ist ein vergiftetes Paradies: ein Dschungel aus Farben und Strukturen, der Monster gebiert, Leben zerstört und andere entstehen lässt.
Im Wasserbassin von Huyghe tummeln sich aber noch mehrere Höhlenfische. Ihr Leben in Dunkelheit hat zur Rückbildung des Augenlichts geführt, die Tiere reagieren nicht auf ihre Umgebung. Trotzdem simuliert der Künstler mithilfe digitaler Programme Tag und Nacht, verdunkelt die Scheiben in Abhängigkeit von Wind, Luftdruck und Temperatur, die draußen gemessen werden.
Sein autarkes Aquarium bräuchte das nicht – so denken wir und werden vom renommierten französischen Künstler daran erinnert, dass die Systeme nicht unabhängig voneinander existieren. Vielleicht sehen die Fische, wann Schlafenszeit ist. Bloß wir verstehen nicht, wie sie das tun.