Manga-Comic-Con auf der Leipziger Buchmesse: Invasion aus dem Totenreich

Phantasmen: Trugbilder, Erscheinungen, aber auch Geister und Wunder.

Der moderne Horror ist ein durch und durch körperlicher, in dem Blut gesaugt wird, Knochen knacken, Hirne zerquetscht werden. Diese Form des Horrors hat ihren Ursprung in der Aufklärung, in der Rationalisierung der Welt, in der der alles empirisch erfassbar wurde – selbst das Grauen.

Geister und Gespenster dagegen stammen aus der Zeit vor der Aufklärung, sie sind ein rein emotionaler, körperloser Schrecken. Vielleicht deshalb haben sie in der Gegenwart einen so schweren Stand – auch der Horror geht schließlich mit der Zeit.

Auftritt Kai Meyer und Jurek Malottke. Meyers 2014 erschienener Roman „Phantasmen“ handelt von Geistern und stellt schon deshalb eine Rarität in der deutschsprachigen Horrorliteratur dar. Meyers Geister planen so etwas wie eine Invasion aus dem Totenreich.

Geisterhafte Erscheinungen: Eine Seite aus  „Phantasmen“.
Geisterhafte Erscheinungen: Eine Seite aus  „Phantasmen“.
© Splitter

Jedenfalls kehren die Geister der Toten plötzlich zurück, als strahlende Leuchterscheinungen, und zudem mit jedem Tag mehr – logisch, nimmt doch die Zahl der Verstorbenen seit Anbeginn der Menschheit mit jedem Tag zu. Die Gefahr hierbei ist das Geisterlächeln, ein unregelmäßiges Grinsen der Phantasmen, das alle Menschen in ihrem direkten Umkreis tötet.

Die Apokalypse folgt hier der Logik der Pandemie. Je mehr Tote leuchtend auf Erden schweben, desto tödlicher wird ihr Lächeln, desto mehr Tote gibt es, die auferstehen und andere töten. Man sollte deshalb darauf hinweisen, dass die Romanvorlage bereits acht Jahre alt ist.

Was Meyer hier aber vor allem macht: er rationalisiert die Geistergeschichte, fügt sie mit dieser quasi-pandemischen Schreckensvermehrung ein in den Kanon des empirisch Fassbaren. Oder kurz, er macht sie uninteressant.

Es ist eine der durchaus sympathischen Paradoxien des deutschen Comicmarktes, dass Kai Meyer zwar selten interessante Romane schreibt, sich um ihn herum aber eine Industrie der Adaptionen seiner Merke entwickelt hat, die fast immer interessante Ergebnisse hervorbringt. Erinnert sei vor allem an das lyrische „Frostfeuer“ von Marie Sann, oder „Das Wolkenvolk“ von Ralf Schlüter (beide bei Splitter), die auf Meyers Vorlagen beruhen und schon rein grafisch Maßstäbe für den deutschen Unterhaltungscomic setzten.

Erzählerisch konventionell, grafisch aufsehenerregend

Auch „Phantasmen“ (Splitter, 240 S., 35 €) ist, wie bereits erwähnt, nur wenig interessant. Die Handlung folgt der Logik des Actionreißers und steht damit diametral zur voraufklärerischen, romantischen Grundidee, die leider allzu schnell begraben wird unter eher herkömmlichen Shoot-outs und Verfolgungsjagden, unter Wissenschaftlern, die dem Phänomen zu Leibe rücken, unter MacGuffins wie einer DVD mit brisanten Daten zum Phänomen.

Konvention auch in der Figurenzeichnung: die Schwestern Emma und Rain, und der Mann Tyler, letztere zwei natürlich traumatisiert und einander in Hassliebe verbunden, folgen der Spur der Geister, die sie über ein dubioses Söldnerunternehmen, eine noch dubiosere Forschungseinrichtung letztlich zu einer nicht minder dubiosen Religionsgemeinschaft führt. Dieser Weg ist mit Blei geladen und hat den Soundtrack von quietschenden Reifen und Hubschraubern.

Natürlich ist es schwer, Meyer dafür zu kritisieren, dass er strikt innerhalb von Genregrenzen und Erwartungshaltungen der Leser arbeitet, in denen jede Figurenentwicklung und Handlungsvolte letztlich vorhersehbar ist. Der Erfolg als Bestsellerautor gibt ihm Recht, und ohne den Erfolg gäbe es Comics wie diesen nicht.

Eine weitere Szene aus  „Phantasmen“.
Eine weitere Szene aus  „Phantasmen“.
© Splitter

Und dennoch wäre es manchmal nett, wenn die allzu geradlinige Handlung mitunter etwas verbogener wäre, wenn die alle zwanzig Seiten angedeutete Liebesbeziehung von Rain und Tyler womöglich doch nicht zustande käme, wenn die Geister Erfolg hätten und alles im schwarzen Nichts endete. Wenn also etwas Überraschendes geschähe, das die Genregrenzen verlassen würde.

Spoiler: tut es nicht. Plot und Figurenzeichnung von „Phantasmen“ sind konventionell und für Leser gemacht, die, ganz wertfrei gesagt, Konventionen schätzen.

Diese Konventionen zu verlassen, bleibt an Malottke hängen. Meyer lobt den Zeichner, der bereits 2018 Meyers Horrorgeschichte „Das Fleisch der Vielen“ als Comic adaptiert hat, im Nachwort in höchsten Tönen, aber über weite Strecken durchaus zu Recht. Malottke legt die Geistergeschichte als geisterhafte Geschichte an. In der sämtliche Konturen verblassen, in der kaum Konturen auszumachen sind, kaum Kontrastfarben existieren: Bilder sind entweder sehr dunkel oder sehr hell. Alles ist vertüpfelt, unscharf, Dunkelheit überlagert Licht.

Um bei diesem Beinahe-Schattenspiel die Figuren auseinanderhalten zu können, hat Malottke die Sprechblasen verschiedenfarbig unterlegt. Das ist in einigen Sequenzen durchaus dringend nötig, sehen sich doch die drei Hauptfiguren mit ihren langen Haaren im Halbschatten verflixt oft ähnlich.

Schwer vorstellbar, wie die Geschichte in einem naturalistischeren Stil wirken würde. Womöglich genau wie das, was sie ist, ein eher herkömmlicher Reißer mit einer ein wenig ungewöhnlichen Grundidee.

Das erinnert mehr als einmal an Frank Millers „Sin City“. Auch Miller hatte darin seine eher konventionellen Plots in unkonventionellen Schattenspielen und mit verblüffenden Schnitten und Seitenlayouts erzählt. Genau wie Miller löst Malottke regelmäßig ein zusammenhängendes Geschehen in viele kleine Elemente auf, in extreme Nah- und Großaufnahmen und Perspektiven.

Mitunter treibt Malottke das zu weit, vor allem im letzten Drittel des Buches, sodass der Handlung aufgrund ihrer Zerlegtheit in Einzelteile und der generellen Lichtarmut nur schwer zu folgen ist. Und ja, ein weniger steriles Lettering hätte womöglich besser zu dieser schemenhaften Erzählweise gepasst.

Dennoch ist „Phantasmen“ im Rahmen eines Unterhaltungscomics, im Rahmen einer Kai-Meyer-Adaption, aber auch im Rahmen der gesamten deutschen Comicproduktion, grafisch aufsehenerregend ungewöhnlich. Oder sagen wir es anders: ein Trugbild, eine Erscheinung, ein Wunder.

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