Je kleiner, desto böser

In den „Austin Powers“-Filmen des amerikanischen Komikers Mike Myers tritt ein Bösewicht namens Dr. Evil auf, unschwer zu erkennen als Wiedergänger des großen James-Bond-Schurken Blofeld. Im zweiten Teil der Agenten-Parodie hat dieser Dr. Evil eine geniale Idee: Er klont sich eine Miniaturausgabe seiner selbst. Genannt: Mini-Me. Dieses Bösewichtchen trägt wie der Papa einen grauen Anzug zur Glatze und folgt ihm auf dem Fuße, lässt allerdings den rechten Weltvernichtungswillen vermissen. Kinder- und Klon-Erziehung ist eben nicht leicht.

Mini-Me erfreut sich bis heute einiger popkultureller Beliebtheit. Erst im vergangenen Jahr hat zum Beispiel die ungarische Regierungspartei Fidesz eine Online-Kampagne gefahren, in der sie den Oppositionskandidaten Péter Márki-Zay als Schrumpfgestalt auftreten ließ. Und dem früheren Premier Ferenc Gyurcsány die Rolle des Dr. Evil andichtete. Anti-Demokraten-Humor halt.

An der Volksbühne ist jetzt das Stück „MiniMe“ zu erleben. Geschrieben hat es die ungarische Dramatikerin Kata Wéber, inszeniert der Regisseur Kornél Mundruczó. Ob der Abend von den politischen Verwerfungen ihres Herkunftslandes beeinflusst wurde, lässt sich nur schwer sagen. Klar ist lediglich, dass es um Kinder geht. „MiniMe“ – Teil einer Reihe, zu der auch Wébers und Mundruczós Filmfestival-Hit „Pieces of a Woman“ gehört (mittlerweile auf Netflix) – erzählt von einer psychopathologischen Kleinfamilie.

In einem abgelegenen Nobelbetonbungalow mit Pool vor der Tür und Gewehren an der Wand (Bühne: Mona-Marie Hartmann und Stéphane Laimé), auf dessen Fassade die Szenen im Innern anfangs live projiziert werden, sitzen Mutter Clau (Kathrin Angerer) und Tochter Dalma, genannt Mini (Maia Rae Domagala) gemeinsam über den Hausaufgaben. Clau verlangt der Zehnjährigen nicht nur bei den adverbialen Bestimmungen viel ab. Sie drillt Mini für einen Schönheitswettbewerb. Und weil die Konkurrenz nicht schläft, steht die Frage im Raum, ob dem Kind Botox gespritzt werden sollte.

Eine private Fassbinder-Hommage

Mini wiederum sorgt sich vor allem, wer sich um ihr Meerschweinchen Milka kümmert (goldig, ein echtes Tier auf der Bühne!), während sie in den USA Catwalks performt. Vater Josef (Daniel Sträßer) zieht meistens mit Kumpels auf der Hirschjagd durch den Wald. Oder er liefert sich mit seiner Ehefrau dezibelstarke Auseinandersetzungen, die gern mal im Gewehrknall münden. Wofür hat man Waffen im Haus! Eine gesunde Umgebung für ein Kind ist das jedenfalls nicht.

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Von Weber und Mundruczó, Gründer des freien Kollektivs Proton-Theater, waren in Berlin schon gute Arbeiten zu sehen. Zum Beispiel die musikalische Farce „Dementia“ über eine zum Spekulationsobjekt verkommene Psychiatrie in Budapest (im HAU). Der Regisseur hat aber auch furchtbare Arbeiten wie „It’s hard to be a God“ zu verantworten, eine sehr filmische Inszenierung über Zwangsprostitution, in der unentwegt Gewalt reproduziert wurde, warum auch immer.

(Wieder am Mi, 2., So, 13., und Sa, 26. Februar, 19.30 Uhr)

Auch „MiniMe“ zählt nicht zu den Glanzlichtern. „Wir schaffen eine Art Hyperrealismus, bei dem verschiedenen fiktionale Genres in das klassische Storytelling einbrechen“, beschreibt Kata Wéber die eigene Methode. So kann man’s auch nennen, wenn nichts zusammenpasst. Im Kern ist die Geschichte plakativ und pathetisch. Grenzverletzung und aufs Kind geworfene Selbstverwirklichungssucht – schlimm, schlimm. Zur stummfilmhaften Live-Musik von Daniel Freitag nimmt das Ganze dann mal die Form der Satire, mal der Soap, mal des Dramas an. Und hängt irgendwie tragisch in der Luft.

Kathrin Angerer baut sich eine Art private Fassbinder-Hommage, Daniel Sträßer muss in der wenig dankbaren Rolle des jagenden Ehemanns viel brüllen. Und die Mini-Darstellerin Maia Rae Domagala macht erfreulich unbeeindruckt ihr Ding. So Schreckliches das Skript ihr auch abverlangt. Ist ja schön, dass Volksbühnen-Intendant René Pollesch mal ein international erfolgreiches Künstler:innen-Team einlädt (das auch an so ziemlich jedem anderen Theater in Berlin inszenieren könnte). Aber dass am Rosa-Luxemburg-Platz – sorry für den Spoiler – jetzt unschuldige Meerschweinchen erschossen werden, ist wirklich schockierend. Wo der Titel des Abends doch so lustig klang.